Gräten Grün-Blau

 

 

Greifswald (SPA): Als kleiner Junge und ABC-Schütze, der ich einmal war, saß ich nach der Schule oft bei meiner Großmutter, die mir frische Plinsen oder Quarkkeulchen servierte. Heiß aus der Pfanne. Im Hintergrund lief eine Schallplatte von Salvatore Adamo oder die Schlagerparade 1971.

 

Die Quarkkeulchen verschlang ich so. Auf eine Plinse kamen Butter und Zucker. Dann wurde der Eierkuchen zusammengerollt, in die Kinderfaust gesteckt und herzhaft reingebissen. Bei jedem Bissen, argwöhnisch von Oma beäugt, tropfte flüssige Butter auf den extragroßen Teller, die mit dem nächsten Happen genüsslich aufgeditscht wurde.

 

Eines Tages lag ein Fisch auf dem extragroßen Teller. Ein langer, schlanker Fisch mit spitzem Maul. Geräuchert. Oma sagte: „Hornfisch. Etwas ganz Besonderes.“ Ich mochte Fisch, klappte ihn auf und starrte auf blau-grüne Gräten. „Den esse ich nicht, Oma. Der ist schlecht!“ Darauf hatte meine Großmutter nur gewartet. „Das ist bei Hornfischen so.“ Und während sie den extragroßen Teller, den ich in meiner Blau-Grüne-Gräten-Empörung weit von mir gestoßen hatte, langsam zurückschob, erklärte sie: „Gott soll an dem Tag, als er den Hornfisch erschuf, zu viel Alkohol getrunken haben. Nicht schön. Aber kleine Jungen sehen die Gräten so besser.“  Hungrig aß ich den Fisch.

 

Meine kleine Tochter isst Quarkkeulchen so, wie sie aus der Pfanne kommen. Plinsen belegt sie mit Apfelmus oder Marmelade. Sie schneidet den Eierkuchen mit Messer und Gabel in kleine Stücke und wenn auf dem langen Weg zum Mund etwas vom Belag auf den Teller oder die Tischplatte tropft, tunkt sie das nächste Stück ein. Ditschen sagen wir hier oben nicht.

 

Vor zwei Jahren sitzt meine Tochter vor ihrem Teller, von dem ein aufgeklappter, langer, schlanker Fisch mit spitzem Maul grüßt. Im Hintergrund läuft die neueste CD von Cro. Ich würde lieber etwas von Fish oder den Waterboys hören. Passender zum Essen, aber ich bin ja nicht so. Meine Tochter mag Fisch. Aber jetzt starrt sie auf die Gräten: „Den esse ich nicht, Papa. Der ist schlecht!“ Darauf habe ich gewartet. Ich erzähle ihr von meiner ersten Begegnung mit einem Hornfisch und bringe sie dazu, herzerfrischend zu lachen. Und ich habe mich belesen. Jetzt erfülle ich meinen Bildungsauftrag: „In Echt: Das ist ein Farbpigment namens Biliverdin, das beim Abbau des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin entsteht.“ Dann tippe ich vorsichtig auf eine Stelle an ihrem Unterarm, wo sie vom Toben einen blau-grünen Fleck als Trophäe trägt. „Ungefähr wie da.“ Nach einer Pause motiviere ich sie: „So sehen kleine Mädchen die Gräten auch besser.“ Zufrieden und hungrig isst sie den Fisch.

 

Gestern nun kommt meine Tochter aus der Schule und zeigt mir ein Foto, das sie auf ihrem Handy gespeichert hat. Ein Hornfischjäger, der nicht an den Gestaden des Boddens sondern in einem Rapsfeld seinem Begehren nachgeht. Ich schmunzele und warte ab. Mit ernster Miene sagt sie: „Hornfische haben blaues Blut und wenn sie Raps fressen wird´ s grün.“ Ich verkneife mir ein Lachen und frage: „Hattet ihr heute in der Schule Anglerlatein oder Farbenlehre?“Nö, Papa. April, April!“ „Aber heut ist doch der 17.!“ „Ist doch egal.“

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Papiiis Tochter Lina :) (Sonntag, 24 April 2016 20:24)

    Danke für den tollen Text! Das macht nicht jeder Papa! Das mit den "Eierkuchen" wie man hier oben sagt. ;) mache ich jetzt immernoch und du auch. Hab dich lieb! Du bist ein toller Papa!