Verarmte Krankenkassen rufen zu Subotniks auf

 

Greifswald (SPA): Lokaltermin in den Ruinen der Krankenkasse XYK (Name geändert, die Red.). André Hollatz, der sich in Greifswald einen Namen als Foto-Art-Künstler Knepulski hart erarbeitet hat, baut sich breitbeinig hinter einem Sauggerät auf und schaut ernst in die Kamera. Der Schlauch ächzt plastig unter seinem Aufstützgewicht. Um ihn herum sind lose verteilt Steine zu sehen, gesplittertes Holz, marode Rohrsysteme, rostiges Metall. Viel Staub. 

Wofür der Krieg und vierzig Jahre deutsch-demokratische Sanierungskultur nicht gereicht haben, das schaffte nun eine Epidemie ungeahnten Ausmaßes. Die jüngste Grippewelle lässt die einheimischen Krankenkassen verarmen. Dringend nötige Arbeiten zur Erhaltung der baulichen Substanz können nicht durchgeführt werden. Ist-Stand: kein Stein liegt auf dem anderen.

 

André war mittendrin in einer Männergrippe. Er schildert, wie alles mit einem fiesen Niesen am Frühstücktisch beginnt. An jenem grauen Februarmorgen begibt er sich zu seinem Hausarzt und holt sich in einem überfüllten Wartezimmer den Rest. Seine Krankschreibung und die von Millionen anderer Beitragszahler spülen nun die Kassen der Versicherer leer. Binnen Tagen. Wie ein Tsunami.

 

Seine Wangen zittern, als er vom Verlauf der Krankheit erzählt. Die tanzenden Muster auf der Tapete, die langsam näher kommen und sich wieder entfernen, als er mit Schüttelfrost im Bett liegt. Fieberwahn bei 37,6 Grad Celsius Körpertemperatur. Er beschreibt den bitteren Nachgeschmack des Kamillentees, zeigt mit den schlecht durchbluteten Fingern auf sechsundzwanzig Stellen seines geschwächten Körpers, die im stetigen Wechsel tagelang Schmerzsignale an die zuständigen Synapsen senden. André erzählt, wie der Hausarzt mit einem sehr scharfen Messer vor seinem Lager steht und ihn zur Ader lassen möchte. Oder hat er das nur geträumt?

 

Nach zehn Tagen stellt sich langsam Besserung ein. Er kann wieder in ganzen Sätzen reden, Wörter wie „Bitte“ oder „Danke“ rutschen ohne das lästige Stöhnen über seine Lippen. Weitere vier Tage später ist der Virus endgültig besiegt. Er kann wieder aufstehen. Dann, am Samstag, macht er sich auf den Weg nach Prohn, um seinen Lieblingsverein zu drei Auswärtspunkten zu brüllen. Trotz des latenten Kratzens im Hals. Aber André öffnet zuvor den Briefkasten.

 

Dort findet er einen Appell seiner Krankenkasse. Die ruft um Hilfe, benötigt jede Hand. Sofort. André wirft Triangel und Viola zurück in den Korb mit den Fanutensilien und fährt umgehend zum Verwaltungsgebäude seines Versicherers. Dreimal rauscht er an dem Haus vorbei, erst dann realisiert er, welch kläglicher Rest von der einst blühenden Jugendstilvilla aus der Gründerzeit übrig geblieben ist.

 

Arbeitsmittel stellt die Krankenkasse zur Verfügung. André wird zu Kellerarbeiten eingeteilt. Hier finden wir ihn. Optimistisch. In einer Stunde, so meint er, übergibt er besenrein. Dann will er in den ersten Stock. Fenster putzen. Hat er einen Wunsch? „Ein Sternburg wäre eine nette Geste.“. Wir schicken einen unserer Fahrer los. Dann, beim Abschied, schmeißt er den Sauger an. Wir winken und er ruft noch: „Und Puls?“ „Drei Punkte!“ „Sauber!“

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Küstenlümmel (Donnerstag, 21 April 2016 09:41)

    Sehr schön geschrieben. Erinnert ein wenig an Stenkelfeld. ^_^