Wegners Fährte (Teil 3) – Amboro

 

Gleiswechsel am Rio Suturu

 

 

Greifswald (SPA):  Während die Heimat für den Gänsebraten deckt, bereiten wir uns bei fünf Stunden Zeitverschiebung auf den Dschungel im Amboro-Nationalpark vor. Anders als Richard Nikolaus Wegner vor circa 85 Jahren rechnen wir natürlich nicht damit, auf unentdeckte Indianerstämme zu treffen, deren Community uns im knappen Lendenschurz und mit primitiven Speeren um Feuerstellen tanzend empfängt.  Gespannt sind wir trotzdem.

Gegen halb Neun holen uns drei einheimische Guides an der Quinta in Buena Vista ab, wo wir alle für den Trip nicht benötigten Sachen in unseren Autos zurücklassen. Von dort fahren wir mit zwei Kleinbussen zum Rio Suturu, wo uns eine Ilja-Repin-Wolgatreidler-Gedächtnisstunde schlägt. In flachen Booten werden wir von im Wasser watenden Indios über den breiten Fluss geschoben. Simple Strategie: die Jungs schieben den Kahn erst gegen die Strömung bis in die Mitte des Flusses und nutzen diese anschließend aus, um uns ans andere Ufer zu drücken. Weitere Kähne sind gleich mit mehreren Mopeds beladen, gleich nebenan rollt ein von Pferden gezogenes Fuhrwerk durch eine Furt.

 


 

 

Nun folgt eine abenteuerliche, fast 20 Kilometer lange Fahrt. Auf der Ladefläche eines Allrad-bestückten LKW werden wir über Stock, Stein und ausgewaschen Boden gewaltig durchgeschüttelt. Fahren wir zu Beginn noch durch recht aufgeräumtes Gebiet, in dem die eine oder andere Holzhütte zu sehen ist, nimmt der Dschungel, so wie wir ihn aus Filmen und von Bildern kennen, ab Hälfte der Strecke langsam Gestalt an

 

 

Wir fahren durch drei Flüsse bis hin zu einem Camp, das momentan die Naturschutzbehörde des Amboro-Nationalparks errichten lässt. Dort sitzen wir ab, durchwaten einen weiteren Fluss und bauen an einer höhergelegenen, maroden Außenstelle der Behörde unser Basislager auf. Zelten am zweiten Weihnachtsfeiertag? Check!

 

Ruhiges Wasser: Rio Martaracu

 

Auf einer nun vierstündigen Wanderung durch den Regenwald entdecken wir weniger Tiere als erwartet – die üppige Flora, besonders die Bäume, und einige Panoramen, wo sich der Dschungel lichtet, sind einzigartig. Einer unserer Führer zeigt uns eine riesige Würgefeige, die den von ihr umschlungenen Baum erstickt hat und nun als gewaltiges, hohles Geschöpf von der Kraft der Natur zeugt. Sie lädt zum Knipsen von Suchbildern ein und jener Guide, der uns mit der Machete den Weg spazierkompatibel gestaltet, lässt es sich nicht nehmen, im Inneren des Baumes weit nach oben zu klettern.

 

 


 

 

Am Rio Mataracu erwarten uns kleine Wasserfälle, die sich in tiefen Höhlen aus Tuffgestein ergießen, in denen ein Bad zum Muss wird. Auf einer Hand lässt sich eine Gottesanbeterin ablichten und später erspähen wir eigenartig geformte Schmetterlinge in schillernden Farben, die wir trotz unzähliger Mariposas während unserer Reise nur hier durch die Luft flattern sehen.

 

 

Nicht ganz so niedlich: Gottesanbeterin

 

Das Feuer am Abend ist genau das Richtige für zwei Hobbypyromanen aus unserer Gruppe. Zwei Wochen Aufenthalt und der Amboro-Nationalpark wäre um einen Hektar Regenwald ärmer. Kaum kriechen wir dann in die Zelte, beginnt es zu regnen. Wenig Schlaf. Zu hart. Früh um Fünf sind alle wach.

 

Es regnet ununterbrochen.

 


 

Zwischen Frühstück und Reistopf

 

Zum Frühstück zwei Stunden später steht fest, dass wir aufgrund der starken Regenfälle auf die geplante zweite Wanderung verzichten müssen. Ohnehin stellt sich nun vielmehr die Frage, wie wir aus diesem Camp zurück nach Buena Vista kommen. Der Regen lässt mal für ein paar Minuten nach, bevor sich alle Schleusen umso weiter öffnen. Wasser überall. So verbringen wir den Vormittag mit dem Abbau der Zelte, mit Daumendrehen und einem durch die Guides ad hoc gezauberten Mittagessen, das natürlich wenig von einem Festtagsbraten hat. Nach einigen Telefonaten kommt gegen Mittag grünes Licht. Allerdings müssen wir laufen. Sechs Kilometer, dem LKW entgegen, für den es kein Durchkommen gibt.

 

 

 

Schon die erste Flussquerung wird zum Abenteuer, denn dieser führt nicht nur das Doppelte an Wasser, sondern auch die Strömungsgeschwindigkeit hat sich im Vergleich zum Vortag vervielfacht. Den Rio Mataracu, jenen Strom also, den der LKW gestern noch lockerst durchfahren hatte, müssen wir nun auf einem Floß überwinden. Priorität hat dabei die Trockenlandung der Rucksäcke, in denen sich unsere Papiere befinden. Eines der Flöße droht kurz vor Land abzutreiben, aber vom anderen Ufer springt ein Indio ins Wasser und hilft unserem Guide.

 

Rio Mararacu bei spontan einsetzender Regenzeit

 

 

Andere Flüsse durchwaten wir, ehe wir den LKW erreichen. Bei erneut einsetzendem Starkregen klammern wir uns stehend auf dessen Ladefläche fest und erreichen nach einer anstrengenden Fahrt den Rio Suturu, der ebenfalls gewaltig an Breite gewonnen hat. Was die nun, statt bis zum Bauchknöppel, bis zum Hals im Wasser stehenden Indios nicht hindert, uns erneut ans andere Ufer zu schieben.

 

 


 

 

Von der Quinta fahren wir, nun in trockenen Sachen, nach Santa Cruz. Klar geraten wir in eine neuerliche  Polizeikontrolle. Auch hier mit großer Pfütze und eine mit der multiplen Forderung nach internationalem Führerschein, Erste-Hilfe-Koffer und Feuerlöscher, die uns weitere 30 Dollar Colaboraciones kostet. Wofür unserem KIA eine weitere LKW-Berechtigung für die Fahrten auf bolivianischen Straßen erteilt wird.

 

 

Ich habe vor der Reise in irgendeinem Bericht gelesen, dass Autofahren in Bolivien zu den letzten Abenteuern der Menschheit gehöre. Eigentlich waren damit einige Straßen durch das Hochland und die Anden gemeint, aber auch das Quer durch den Moloch Santa Cruz ist verrückt. Gelebte Gewalt auf der Straße, um stückchenweise vorwärts zu kommen. Zwei Stunden benötigen wir vom Norden der Stadt bis zu unserem fabelhaften, im spanischen Stil eingerichteten Hotel im Konsul-Viertel der Stadt. Das Abendbrot ist grandios und, ja, auch weihnachtlich – egal ob Früchteteller oder die Lomitoplatte.

 


 

A punto.

 

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