Malchin (SPA): Ein sattes Knattern ist zu hören. Gocki, der neben mir vor dem Vereinsheim steht, meint trocken: „Der Radieschenförster kommt.“
Wer auch immer die Gegend um Malchin geschaffen hat, er muss dabei Chopin gehört haben. Die Endmoränenzüge um Retzow. Der Kummerower und Malchiner See. Das märchenhafte Panorama, das sich im Frühling oder Herbst am Kornbrink stehend bietet. Wenn sich der aus den Torfgräben kriechende Morgennebel träge und cremig-weiß in die Wellen der Ackerflächen und über die Peenewiesen legt und an seinem Scheitel die unverstellte Sicht in Richtung des Malchiner Sees und auf die Alleenbäume freigibt.
Das Knattern wird lauter. Manni passiert die Stadtbibliothek und rauscht zwei Sekunden später mit seinem alten Simson aus der Vogelserie (ein Star?, ein Sperber?, ein Habicht?) an uns vorbei . Bremst, schlägt einen kleinen Bogen und parkt das Moped in Abfahrrichtung neben dem kleinen Geräteschuppen zwischen Kunstrasenplatz und Vereinsheim. Er hängt den visierlosen Helm, der vermutlich ebenso viele Jahre auf dem Buckel hat wie sein Zweirad, an den Lenker. Dann setzt er das Manni-Gesicht auf und schlendert, die linke Hand in der Hosentasche, auf uns zu.
Gocki begrüßt ihn euphorisch, klopft ihm auf die Schulter und ruft: „Na, Radieschenförster! Wie geht´s?“ Und mit einem Blick zum Moped: „Musst mal wieder Öl auffüllen. Oder hast ein Loch im Auspuff?“. Lacht. Manni mit dem Manni-Gesicht gibt ihm die Hand und sagt: „Tach, Gocki.“ Manni gibt mir die Hand und sagt: „Tach, Hannes.“ Drei Schritte und Manni verschwindet im Vereinsheim.
Das Manni-Gesicht mag das landläufige Klischee vom Mecklenburger Menschenschlag spiegeln. Sturheit, Verschlossenheit, kaum ein offenes Lächeln. Nein. Ein Blick tiefer. Es trägt die Aura eines kleinen Jungen spazieren. Den Schelm, der sorgfältig darauf bedacht ist, nur im passenden Moment einen Spruch zu platzieren. Eine Verschlossenheit, die nichts anderes ist als die Aufmerksamkeit und die Anerkennung für sein Gegenüber.
Ich achte bei Manni auf das Philtrum. Die vertikale Rinne, die sich von der Nase bis zur Oberlippe zieht, ist bei ihm durch einen gepflegten, grauen Oberlippenbart verdeckt. Lächelt Manni in sich hinein, wie es ein Mecklenburger oft tut, verrät ihn ein leichtes Zittern am Philtrum. Als habe ihm eine leichte Brise soeben die Struktur seines Bärtchens zerweht.
Das Spiel hat begonnen. Manni steht zwei Meter rechts neben dem kleinen Ausgabefenster, aus dem der Commander und Gitti die sportparallele Versorgung organisieren. Dort steht er immer, vor einem fiktiven Platzschild mit der Aufschrift Manni. Stets hat er die Sonne im Gesicht und falls sie zu tief steht, hebt er die rechte Hand und schiebt sie als horizontale Sehhilfe über die Augenbrauen. Ich stelle mich neben ihn und frage: „Na Manni, magst ´nen Kräuter?“ Wortlos macht Manni zwei Schritte nach vorn, winkt dem Commander zu sich und brubbelt: „Raik, machst mal zwei Jägermeister.“
Nach deren Verschüttung zeige ich ihm den Zettel mit dem Foto. „Lies du mal vor. Habe meine Brille nicht mit.“ Ich lese: „Laut einem Beschluss des Landwirtschaftsausschusses für Fallobst und Fallobstähnliche in den Staaten der Europäischen Union müssen nun auch Früchte in Norddeutschland kreisrund vom Baume fallen.“ Als er mich anschaut, mache ich ein Manni-Gesicht und unterdrücke ein Grinsen. Trotzdem kein Windchen geht, legen sich die Haare seines Oberlippenbärtchens über seinem Philtrum schief. „Du verarschst mich, Hannes.“ Kurze Pause und immer noch biegen sich die grauen Härchen. „Habe ich ja Glück mit den Radieschen.“ Haare wieder still.
Als nach acht schönen Jahren mein Abschied aus Malchin naht, passt Manni mich ab. Er schaut mich an, nimmt mich in den Arm und klopft mir sekundenlang auf die Schulter. Dann sagt er: „Eigentlich, Hannes, bist du einer von uns.“ Und dann zeigt der Radieschenförster ein sehr breites Lächeln.
Das vergesse ich nicht.
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XY und Z (Mittwoch, 27 April 2016 11:47)
Eine sehr schöne Geschichte ... Daumen hoch!