Ein Tag zum Vergessen

 

 

 

Greifswald (SPA): Ich habe eine unruhige Nacht hinter mir. Das Chaos in den Träumen führt zu ausgedehnten Wachphasen, die mich in schöner Regelmäßigkeit den Wecker vor die Augen heben lassen. 2:16, 2:57, 4:08, 5:22 … wann klingelst du endlich? Das monotone Signal reißt mich um Sechs aus dem Schlaf, den ich soeben erst gefunden habe.

 

 

Ein Brötchen und den Kaffee haste ich hinunter, denn mir kommt in den Sinn, den Rasenmäher für eine Durchsicht mit zur Arbeit zu nehmen. Zum Rasenmäherdurchseher in der Fahrradwerkstatt. Also verklappe ich am Auto die Rückbank, laufe die Stufen zum Keller hinunter und rolle das Gerät an die frische Luft. Mit Lappen und spitzem Gerät wische und kratze ich eilig Zeugen des letzten Herbstschnitts vom kantigen Apparat. Da … ein Grat! Und schon spritzt edles Blut aus dem Fleisch meines linken Zeigefingers.

 

Als Mensch, der bei der visuellen Konfrontation mit Eigenblut zur Blässe neigt, stehe ich um 6:45 Uhr bei meinem Nachbarn vor der Tür und betätige den Klingelknopf. Meinen linken Zeigefinger habe ich im Mund. Tobias öffnet: „Morgen, Hannes. Ist etwas passiert?“. „Kannst du mir helfen, den Mäher die Treppe hochzutragen? Und hast du vielleicht ein Pflaster?“. Tobias gibt mir drei.

 

Der Arbeitstag zieht sich. Ich bin müde. Vor meinen Mediengestalter-Azubis verrechne ich mich bei der Umwandlung einer vierstelligen Dezimal- in eine Hexadezimalzahl. Janine fragt: „Machen Sie das alles im Kopf?“ Mürrisch antworte ich: „Klar. Deswegen habe ich mich jetzt auch verrechnet.“ Ich pushe meinen Selbstwert und knalle noch ein paar knackige RGB-Codes an die Tafel. Geht nur bis 255 und flutscht.

 

 

Tafelbild Umrechnung Binär- in Hexadezimalzahlen und RGB-Codes incl. Anklage gegen den Fotokünstler, der kein simples Fleisch-Foto im Archiv hat.

Über den Tag darbend, beschleichen mich zum Feierabend Hungergefühle. Der Rasenmäherdurchseher und ich heben das Gartengerät in den Kofferraum. Dann entführe ich den Volvo, den Rasenmäher und mich in den zäh fließenden Stadtausverkehr und wir steuern einen Discounter an. Dort breche ich das elfte Gebot: Du darfst nicht hungrig einkaufen!

 

Der Berufsverkehr setzt sich im Inneren des Konsumtempels nahtlos fort. Also parke ich meinen Mietkorb in diversen Ecken und laufe die Regale ab, bis ich nix mehr tragen kann. Dann suche ich meinen Korb, weil dieser derweil von anderen Konsumenten beiseite oder in die nächste Parktasche geschoben wurde. So ein Heißhungerkauf konzentriert sich auf jene Regale und Truhen, in denen ich meine Appetitsbefriediger weiß. Am Brathering komme ich geradeso vorbei. Nach dem Ziegenkäse, dem Fleischsalat, den Klößen, dem Lachs … stehe ich am Fleischregal.

 

(an dieser Stelle muss ich eine Warnung einbauen:

 

Liebe Freunde der fleischlosen Grundernährung!

      1) Falls ihr nun nicht weiterlest, verpasst ihr das Happy End.

      2)  Die folgenden Aussagen müssen nicht repräsentativ für die Denke eines Fleischkonsumenten sein. Sie sind demnach nur bedingt für eine Argumentation nutzbar.)

 

Ich jongliere Puten-. Hähnchen-, Rinderteile unter der Zuhilfenahme von Bildern, die ich in meinem Kopf gespeichert trage. Mit Klößen und Saure-Sahne-Sauce. Gemüse muss nicht, ich habe Hunger und mir steht der Sinn nach profanem Verspeis. Die Entscheidung fällt auf Hähnchenbrustfilet. Bio und vom deutschen Bauern.

Den gefüllten Korb entlade ich auf dem Fließband, das auf einer Breite von 2,50m meine Waren zur Kasse befördert. Ich bemerke, dass ich den Eierlikör zum Spritzen des Vanilleeises vergessen habe. Doch es gibt nun kein Zurück. Plötzlich habe ich eine Mango in der Hand. Die grünste Mango, die ich je gesehen habe. Hart wie Lausitzer Granit. Die muss mir jemand in den Korb getan haben. Es ist mir nun auch völlig mango, ob mich irgendwer dabei beobachtet, wie ich sie zwischen den Kaugummis über dem Kassenlieferband entsorge. Draußen lade ich alles ins Auto und habe plötzlich eine Packung rote Weintrauben in der Hand. Kernlos, aber die muss mir jemand in den Korb getan haben.

 

Daheim lade ich alles aus. Wir räumen in den Kühlschrank, in die Kühltruhe, schaffen den Rasenmäher in den Keller, rauchen noch eine Zigarette auf der Terrasse, ich stelle einen Blog-Eintrag ins Netz. Meine Liebe schält den grünen Spargel. Ich werde das Fleisch machen.

 

Das Fleisch ist nicht im Kühlschrank, wo es sein müsste. Es ist auch nicht im Auto, wo es sein könnte. Das muss ich jemandem in den Korb getan haben.

 

Blinder Passagier im Einkaufskorb: 500 Gramm rote Weintrauben (kernlos)

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