Zu Gast bei den Fish Angels

 

Spezifik und Symbolik: Grüne Bundjacke mit Fish Angels-Schriftzug. Darunter ein Hecht, regionaler Inbegriff eines räuberischen Fisches. Auf beiden Ärmeln hochwertige Stickereien von vier Hornfischen beim Schwanz(flossen)vergleich.

 

 

 

 

Greifswald (SPA): Seine Hand beschreibt einen weiten Bogen über den Ryck. Hinüber zum Zentrum Greifswalds.  „Barschidos!“, sagt er. Dann mit festem Blick: „Feindgebiet“. 

André, 42, ist Fish Angel, deren Vorsitzender und Sprecher. In Doppelfunktion. Er hat mich eingeladen. Weil ich mehr wissen will über einen schwelenden Konflikt, der eine ganze Region seit Jahren in Atem hält. Nun wandern wir am westlichen Ufer des Flüsschens Ryck entlang, der so etwas wie die Grenze zwischen den Interessengebieten beider Gruppierungen darstellt. Eine Grenze, die umstritten ist, was Zusammenstöße wie in Anklam, Greifswald oder jüngst in Stralsund provoziert.  

 

„Früher war das anders. Da ging es noch um Drogen, Rotlicht, politischen Einfluss und ein bissel Türstehen. Jetzt um Fischgründe.“, schildert André. Er möchte nicht fotografiert werden, hat eine schwarze Mütze tief ins Gesicht gezogen und trägt eine grüne Jacke, auf derem Rücken der Schriftzug „Fish Angels“  zu lesen ist. Erkennungszeichen und Ritual. „Damals fuhren wir Bikes. Heute fahren wir Kutter.“

 

Typisches Fish Angels-Equipment: zum Inhalt eines ordentlichen Koffers gehören Köder, Haken, Blei, Sehnen. Illegal und nicht zu sehen: Vorfächer.

 

 

André ist ein Stiller und wenn er erzählt, von tiefer Männerfreundschaft, Landstraßen und von seiner Harley, die er sich kurz nach der Wende gekauft hat, höre ich eine gute Portion Melancholie heraus. Fast zwei Stunden sind wir unterwegs, dann verbindet er mir die Augen und führt mich einige Minuten durch unwegsames Gelände. Ich bin froh, dass ich mir die Wanderschuhe angezogen habe. Als er mir das Tuch von den Augen nimmt, stehen wir vor einem einsamen Gebäude, dessen schlicht verputzter Giebel mit demselben Schriftzug, den ich auf dem Rücken seiner Kutte ausgemacht habe, versehen ist. Weißes Blech, vermutlich Zinn, und weithin sichtbar. Ein wenig versetzt steht auf rotem Backstein: „Zum gefährlichen Lurch“. Das ist es also. Das sagenumwobene Vereinsheim der Fish Angels.

 

Mystisch: Zum gefährlichen Lurch. Das Vereinsheim der Fish Angels. Hochgesichert und abgeschieden auf einer schwer zugänglichen Lichtung Vorpommerns. Alfred bedient.

 

Er klopft. Zweimal kurz, dreimal lang. Dann schaut mich André erschrocken an und fordert mich auf, mir die Ohren zuzuhalten. Ich tue es nicht richtig. Dreimal kurz, zweimal lang, fünfmal kurz, fünfmal lang. Den Rest habe ich mir nicht merken können. Im linken Türrahmen öffnet sich ein kleines Fenster und er gibt hinter vorgehaltener Hand einen Code ein. Zwei Sekunden später erklingt ein Glockenton und die Tür öffnet sich.


Wir gehen nun einen kleinen Flur entlang und erreichen hinter einer zweiteiligen Schwungtür den Gästeraum. Dort: ein sehr langer Tresen, vor dem circa zwanzig Barhocker platziert sind. Vier Tische mit je sechs Stühlen im Raum verteilt. Gedämpftes Licht. Eine üppige Blondine, die vor einem imposanten, mit Flaschen zugestellten Spiegelregal Gläser poliert. An den Wänden hängen Poster, Plakate, Fotos, Flaggen, Wimpel. Hunderte. In der einen Ecke bestaune ich die in einer Glasvitrine untergebrachte originalgetreue Miniaturkonstruktion eines Fischkutters. Mannshoch und auch auf deren Planken entdecke ich den Schriftzug der Angels. Mit viel Liebe zum Detail. Direkt gegenüber steht auf einem kleinen Podest eine Harley. Seine? Ich frage ihn nicht.

 

Ein erstes Foto aus den Tagen der geschäftlichen Neuorientierung. Fish Angels mit Kutter am Bodden.

 

 

André steuert den nächsten Tisch an und wir setzen uns. Die Bedienung kommt mit zwei Bier und ich muss erkennen, dass ich mich getäuscht habe. Keine Blondine, ein Blond. Mit einer ausgeprägten Gynäkomastie. „Machst du Musik an und uns noch zwei Korn dazu, Alfred? Und zwei Suppen.“  Er prostet mir zu und hat die Blume am Kinn. Einmal mit dem Ärmel drüber und schon ist sie weg.

 

Musik ertönt. Und ich glaube es nicht. Helene Fischer! Ein nie gehörter Cuba-Dub-Mix. Entsetzt schaue ich André an, der damit begonnen hat, mit seinen Füßen den Latino-Rhythmus mitzuwippen. „Die Fischer?“ „Klar, Mann, unsere Schutzpatronin.“ Ich schaue hinüber auf das riesige Poster mit Dennis Hopper und Peter Fonda aus dem Film Easy Rider. Stelle mir vor, wie die sonnengebräunt und stoned über den kalifornischen Highway harleyen und aus dem Off erklingt Born to be breathless. Ich muss grinsen. Aber André bemerkt es. „Weißt du, was die drüben hören?“ Ich bin ahnungslos und schüttele den Kopf. Er rückt ein wenig vom Tisch ab, holt tief Luft und imitiert dann täuschend echt die Stimme von Frank Zander: „Wir sind die Ur-Ur-Enkel von Frankenstein, das Geschäft läuft wirklich sehr gut“. Ich, der gerade ein Bier angesetzt hat, pruste Teile der Blume über den Tisch und bin für einen Augenblick meinen Atem los. Erinnere mich. 2008. Das Zander-Konzert im Vereinsheim am St. Georgsfeld. Andere Ryckseite. Witzige Veranstaltung.

 

Nun frage ich: „Warum?“

 

Dann erzählt mir André die ganze Geschichte. Wie einer von den Barschidos einem der Angels den Angelkoffer in den Ryck stieß. Einfach so. Mit dem Fuß auf der Brücke in der Stralsunder Straße Greifswalds. Dort, wo ein roter Strich am Brückengeländer die Grenze zwischen den Claims markiert. Zwei Wochen später kam kein Fisch den Ryck herunter. „Stellnetze.“  Zischt André. „Die haben wir nach fünf Tagen zwei Kilometer flussaufwärts aufgetan. So eng werden die nur von denen geknüpft. Da kommt nicht mal mehr ein Stichling durch.“ Wenige Tage später wird das alte Vereinshaus der Fish Angels mit Wattwürmern drapiert. „Die sind doch hier gar nicht natürlich! Irgendwo müssen diese Fischräuber eine illegale Zucht haben.“ Nach einer Pause hake ich nach: „Und die Angels?“ „Wir haben nichts getan. Nichts!“

 

Kryptische Information: Sowohl Fish Angels als auch Barschidos kommunizieren über schwer entschlüsselbare Schriftzeichen. Hier eine barschidische Quelle, die an einem Container in Greifswald entdeckt wurde.

 

Die Suppe kommt. Nach dem ersten Löffel sagt André: „Doch. Wir haben von ihrer Internetpräsenz das Rezept für diese Fischsuppe kopiert und selbst online gestellt.“ Klar, denke ich. Bei meinen Recherchen stieß ich auf die Seite "Zwanzig geheime Fischrezepte der Barschidos". Der Zugriff war gebührenpflichtig und bei meiner Kostenstelle bin ich mit dem Anliegen einer tieferen Recherche abgeblitzt. Kochrezepte seien nicht relevant. Ha! Dass ich nicht lache.  „Wir machen sie aber ohne Dill.“, ergänzt André. Ich werde spontan. Zu spontan. „Wollte Alfred gerade fragen, ob er welchen bringen kann.“ Sofort bereue ich meinen Einwurf. Ich sehe Blut in seinen Augen. Ein Äderchen muss geplatzt sein. Oder auch zwei. André faucht mich an: „Kein Dill! Hab` ich gesagt.“ Dann ist Ruhe. Bis wir die Suppe ausgelöffelt haben.

 

André verbindet mir die Augen und wir gehen nach Hause.  

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    XY und Z (Mittwoch, 01 Juni 2016 20:01)

    Haha!

  • #2

    Flo (Dienstag, 25 Juli 2017 20:37)

    Barschidos... ich hau mich wech!