Die Spur der Steine

 

 

Verrückt nach Steinen: Fährtenhund Stony

 

 

 

Greifswald (SPA): In der letzten Woche legten Vertreter der Identitären Bewegung einen sehr schweren Stein in der Greifswalder Domstraße ab und versahen ihn mit einer episodisch anwesenden Gedenktafel für den abgewählten Universitäts-Namenspatron Ernst Moritz Arndt.

Während sich die hansestädtischen Leitmedien Ostseezeitung und Was Greifswald bewegt auf pure Zustandsmeldungen und Diskussionen beschränkten, wurden wir unserer Recherchepflicht gerecht und begaben uns mit Fährtenhund Stony, nachdem dieser den Arndt-Gedenkstein artgerecht markiert hatte, auf die Spur der Steine.  Mit einer kleinen, aber repräsentativen Auswahl können wir heute belegen, dass nicht nur der identitäre Stein sein Dasein in Abhängigkeit steter exogener Prozesse fristet. Kein Stein bleibt auf dem anderen.

 

 

 

 

Die Maya-Kultur im heutigen Belize gehörte neben den Ägyptern zu den fleißigsten Steinanhäufern der Erdgeschichte. Vermutlich war für die Installation einer solchen Pyramide bedeutend mehr Manpower unterwegs als die zehn Hanseln von letzter Woche. Auf eine Erhebung in den UNESCO-Adelsstand wird der Arndtstein im Gegensatz zu diesem Maya-Bauwerk warten müssen.

 

 

 

In der Nähe der bolivianischen Stadt Samaipata befindet sich mit El Fuerte einer der größten bearbeiteten Felsen der Welt. Der 200 mal 40 Meter große Stein wurde von der Inka-Kultur mit allerhand rituellen Schnickschnack versehen und gibt der Menschheit bis heute Rätsel auf. In Greifswald würde der Sandstein den ganzen Rubenow-Platz zupflastern. Das würde eine Logistik erfordern, der sich die Identitären vermutlich nicht stellen wollten.

 

 

 

 

 

In Norddeutschland stolpert der Mensch hin und wieder im Wald über frühzeitliche Steinanhäufungen. Wer clever ist, findet diese Großsteingräber koordinatengenau in speziellen Karten. Die architektonischen Skills der frühen Besiedler des hiesigen Gebietes dürfen weit weniger feinmotorischen Ursprungs eingeordnet werden als jene der Schaffer oben angeführter Bauwerke. Zweifellos kann die Ablage des Arndtsteins in dieser Tradition gesehen werden.

 

 

 

 

Im 11. Jahrhundert wurden Gedenksteine für den Pilgerwegebau durch die Ostsee verwendet. Wir haben uns diesem Thema und dem Schritt-für-Schritt-Verlegeverfahren in einen ausführlichen Bericht im April 2016 gewidmet: https://brycke.jimdo.com/2016/04/22/pilgerweg-taucht-auf/

 

 

 

 

In der Regel sind Gedenksteine exogenen Verwitterungsprozessen ausgesetzt und verdanken diesen ihre glatten Rundungen. Allerdings kann es in hiesigen Breiten durch starke Einflüsse von Frost und Wasser zum Aufplatzen und Verkleinern von gewaltigen Steinen kommen, wonach die Rundungsprozesse von Neuem beginnen.

 

 

 

Hier sehen wir dutzende Gedenksteine im Endstadium. Über Jahrtausende von Klimaeinflüssen zermalmt, kommen sie für das Anbringen einer Gedenktafel nicht mehr in Frage und sind in freier Natur vielleicht noch für eine Fußmassage zu gebrauchen. Das Los der Zeit.

 

 

 

 

Wer nicht auf die nächste Eiszeit warten möchte, findet das knapp gewordene Rohmaterial für Gedenksteine heute zuhauf nur noch an der französischen Sandsteinschieferküste. Schiefer abheben, ganz langsam zusammenrollen, glattstreichen und Plakette drauf. Made in France – Arndt würde das erfreuen.

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