Wegners Fährte (Teil 1) - Grenzspiele

 

Simple Grenzsicherung zwischen Paraguay und Bolivien

 

Greifswald (SPA): In den Jahren 1927 bis 1929 unternahm der 1967 in Greifswald verstorbene, nach dem Krieg an der hiesigen Uni wirkende Anatom und Anthropologe Richard Nikolaus Wegner eine Expedition durch Südamerika. Über den Rio Pirai gelangte er mit Kanus in den bolivianischen Dschungel, wo es ihm gelang, Indianerstämme zu „bestimmen“. So hieß das damals. Weihnachten 2012 reisen wir, sechs Greifswalder und drei deutschstämmige Mennoniten aus Asuncion, ihm nach.

Als wir in Filadelfia, der Oase im paraguayischen Chaco starten, haben wir bis ins nächste Etappenziel, die bolivianische Stadt Villamontes, 600 Kilometer vor uns. 600 Kilometer durch das fast menschenleere Trockengebiet, das einst von den Mennoniten urbar gemacht wurde und jetzt Tausenden Rindern als Domizil dient. Die Ruta 9 präsentiert sich in einem katastrophalen Zustand – Schlaglöcher, in deren größten wir samt PKW verschwunden wären, was uns zwingt die Reisegeschwindigkeit immer wieder auf 50 km/h zu drosseln. So slalomisieren wir uns nach Mariscal José Felix Estigarribia. In diesem Örtchen mit dem exotischen Namen, 240 Kilometer vor der Grenzlinie, erhalten wir unsere Ausreisestempel.

 

Schlaglöcher und fehlender Asphalt: Auf der Ruta 9 durch den Chaco

 

Auf den letzten paraguayischen Teilabschnitt scheinen die Mittel für das Straßenbauförderprogramm angekommen zu sein, so dass wir hier recht flüssig unterwegs sein können. Zehn Minuten nach einem letzten Militärposten treffen wir auf mehrere Fässer, mit denen die Straße verstellt ist – die Grenze nach Bolivien. Einige Männer,  vermutlich allesamt Fahrer der LKW´s beiderseits dieser abschreckenden Sicherungsanlage,  verweisen uns milde lächelnd an zwei abseits stehende, durch kniehohe Holzpfähle getrennte Häuschen. Rechts der paraguayische, links der bolivianische Grenzkontrolleur. Jene, die das Befahren des jeweiligen Staatsgebietes mit einem motorisierten Untersatz genehmigen. What a story.

Die wartenden Männer hätten uns eine Warnung sein müssen. Wir jedoch, euphorisiert, terminbelastet, bissel deutsch, treten an das paraguayische Amt. Der (gerade aufgewachte) Mann wirkt im ersten Moment mürrisch, aber nach 15 Minuten hat der Don (unser Mennonite) die notwendigen Stempel für eine Ausreise erwirken können. Nun wagt er einen ersten Grenzübertritt und klopft gleich nebenan an die Tür des bolivianischen Beamten. Der erhält derweil per Zuruf von der paraguayischen Behörde einen Spitznamen (Consul de la cama), der Don wird angefeuert (Fuerte!) und unter dem Gelächter und Getuschel dreier hinzugetretener LKW-Fahrer begehen wir einen ersten Fehler: Wir wecken Senor Ayala. Es beginnt ein Spiel, bei dem wir eine erste Regel nicht beachtet haben.

Schlüsselvegetation: ein Flaschenbaum

 

Eine anschließende 30-minütige Audienz endet mit der strikten Forderung des Beamten, die 850 Kilometer nach Asuncion zurückzufahren, um einen unbedingt erforderlichen Schein von der bolivianischen Botschaft zu beschaffen. (Der Don war im Vorfeld der Reise bereits in dieser Botschaft, wo ihm keine Information über ein solches Dokument gegeben wurde.) Ein dieser Forderung folgender Bestechungsversuch unsererseits wird zum zweiten Fehler. Senor Ayala lehnt das Angebot recht harsch ab, verweist uns der Dienststelle und nickt ein.

 

Vorerst ist Funkstille. Wir warten bei guten 40 Grad, dass etwas passiert, reden mit einem Brasilianer, den das gleiche Schicksal ereilt. Der Don telefoniert – es ist Sonntag, am nächsten Tag ist Heiligabend, Hilfe und Auskunft ist auf diesem Weg kaum zu erwarten. Senor Ayala fertigt nun die LKW-Fahrer ab, die ihre Zeit abgewartet haben und lässt sich gut gelaunt von diesen abfeiern. Abklatschen. Schulterklopfen. Es schließt sich eine weit hörbare Stempelorgie an. Ayala stempelt, dass die Wände zittern. Als er sich wieder in Richtung seiner Cama bewegt, zieht der Don eine nächste Trumpfkarte und schickt seine Tochter in die nächste Verhandlungsreihe. Auch sie scheitert.

 

Wir warten. Zwei Stunden.

 

Cama Paraquay rechts, Cama Bolivien links

 

Dann begibt sich der Don zum Verhandlungsmarathon in das Häuschen. Die nun folgenden Gespräche können in etwa so zusammengefasst werden: Ein Appell an die menschliche Komponente. Er versucht mit blumig-markigen Worten á la „Freunde aus Berlin“, „850 km gefahren, um dieses schöne Land zu besuchen“, „Was sollen die Deutschen von Bolivien denken?“ einen empathischen Kanal in Senor Ayala zu öffnen. Diese Phase nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, aber Stück für Stück gewinnt der Don Terrain, das sein Gegenüber aufgibt, ohne sein Gesicht zu verlieren. DAS ist der Sinn des Spiels. Ein erstes Händeschütteln, ein erstes Lächeln, ein erster Schluck aus dem nun gemeinsamen Teréré zeugen von einer Auflockerung der Großwetterlage.

 

Dann verkündet Senor Ayala feierlich sein Begehr. Er wünscht sich einen Studienplatz in Deutschland. Der Don bleibt diplomatisch und betont, dass Deutschland sehr wohl interessiert sei, auch mit Bolivien in einen Bildungsaustausch zu treten. Sicherlich können wir uns um sein Anliegen kümmern, hier und jetzt haben wir jedoch keine Immatrikulationsunterlagen dabei.

 Behördenpalast: Bolivianische Einwanderungsbehörde

 

Es schließt sich der Austausch der E-Mail-Adressen an. Dieser ersten Transaktion folgen weitere, auf das Ego des Bolivianers gerichtete Huldigungen seitens unseres Abgeordneten. Der Don streicht die Wichtigkeit der Aufgabe als Grenzsicherer heraus, zeigt die Vorzüge des bolivianischen Menschenschlages auf, entschuldigt sich bei einem nächsten gemeinsamen Schluck Teréré für die Niederlage Boliviens im Chaco-Krieg vor fast 80 Jahren und bringt einen abschließenden Hinweis auf die friedliche deutsch-bolivianische Koexistenz an.

 

Erneut zieht Feierlichkeit in Senor Ayala Gemüt. Er ruft eine Versammlung ein, um uns mitzuteilen, dass er uns ohne das geforderte Dokument passieren lässt. Bis Villamontes (120 km) würden wir keine Probleme bekommen und dort können wir uns dann um dessen Beschaffung kümmern.

Die Gremien ziehen sich zur Beratung zurück. Verhandlungspause.

 

Eine halbe Stunde später geht der Don aufs Ganze. Mit aufmunternden Worten und der Zusage eines kleinen Geschenkes, das Senor Ayala keineswegs als Bestechung sondern als Wertschätzung seiner Mühen definieren solle, kehrt er in das Verhandlungshüttchen zurück. Um erneut auf die Ausstellung jenes Dokumentes zu bestehen, das wir bis Villamontes angeblich nicht benötigen würden. Nach Entgegennahme genau jener 50 US-Dollar-Note, die Senor Ayala bei einem ersten Anblick empört zurückgewiesen hatte, hält der Don die Hoja de Ruta (eine Verkehrserlaubnis, der man das Running Gag-Potential in dieser Sekunde noch nicht ablesen kann) in den Händen.  Zehn Minuten später schweben wir über den glatten Asphalt Boliviens.

 

Hochfrequenz: Militärkontrollen in Bolivien

 

Nach 40 Kilometern geraten wir an einen ersten Kontrollpunkt. Schwer bewaffnetes Militär. Aus jedem Reisepass werden die vollständigen Daten per Hand in ein dickes Buch übertragen. Das dauert bei neun Leuten ein Weilchen und … man möchte die Hoya de Ruta sehen. Wir danken dem Don.

 

Kaum sichtbar erscheint weitere 30 Kilometer später ein Schild mit dem Hinweis „Migrationsbehörde“. In einem Bretterverschlag erhalten wir unsere Einreisestempel, müssen eine Zollerklärung erklären und … die Hoya de Ruta vorweisen (ich verrate jetzt, dass dieses Dokument Bestandteil dutzender Kontrollen der nächsten Tage sein würde, zerstempelt und zertackert mit vielen, vielen Zusatzdokumenten –Big Brother auf Bolivianisch). Bereits als wir die Autos am Straßenrand parken, bauen sich 20 Meter dahinter zwei weitere Milizionäre auf, die uns anschließend kontrollieren, mit den Dokumenten kurz verschwinden und glücklicherweise wieder auftauchen. Alles wirkt unheimlich, surreal. Kurz darauf wartet eine weitere Militärkontrolle auf uns. Dasselbe Prozedere wie bei Kilometer 40, nur dass dieses Mal Ladeflächen und Kofferräume gefilzt werden.

 

Im Hotel in Villamontes erscheint, als wir beim Abendbrot sitzen, der Brasilianer mit seiner Familie. Er hatte leider keine kleinen Scheine dabei, so dass ihn das Wohl Senor Ayalas 100 Dollar kostete.

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Kommentare: 5
  • #1

    XY und Z (Samstag, 17 Juni 2017 13:07)

    Fantastisch. Bin gespannt auf weitere Teile.

  • #2

    Anja S. (Freitag, 13 September 2019 18:54)

    Wow, das ist ja ein Erlebnis gewesen - ich glaube ich wäre wahrscheinlich ausgerastet. Gut, das ihr dann doch noch durchgekommen seid.
    Liebe Grüße
    Anja von Castlemaker.de

  • #3

    office@lifestyleluxurybrigade.com (Freitag, 13 September 2019 19:26)

    Das liest sich ja super spannend, wie ein Kriminalroman. Toller Einblick in das Land.

  • #4

    WellSpa (Samstag, 14 September 2019 13:08)

    Das war ja ein echtes Erlebnis und wie du es alles beschreibst, könntest du auch Krimiautor werden :-)
    Wenn ich genau lese, fehlt dir nur ein E :-)

    Liebe Grüße, Katja die https://auszeitgeniesser.de

  • #5

    Miriam (Samstag, 14 September 2019 20:33)

    Das klingt nach einem mega spannenden Erlebnis. Ich finde die hohe Militärpräsenz in vielen Ländern auch einfach unangenehm. Macht mir immer ein ungutes Gefühl.
    Miriam von www.nordkap-nach-suedkap.de