Mautstelle: Stempel und Colaboraciones
Greifswald (SPA): Am Morgen des 24. Dezember liegen weitere gut 500 Kilometer bis zum nächsten Reiseziel vor uns, so dass wir sehr früh in den Fahrzeugen sitzen und Villamontes verlassen. Die Straßen durch das östliche Tiefland sind toll und in keiner Weise mit deren Zustand im paraguayischen Chaco zu vergleichen. Allerdings müssen wir an unzähligen Kontroll- und Mautstellen halten, wo offen Colaboraciones verlangt werden – kleine Zahlungen für die Familie, an diesem Datum natürlich zum Heiligabend, für die Gemeinde, für die Kirche, für den Hund … Auch das ist Bolivien.
Polizei, Militär, Pfütze: Weiterfahrt per Dollar
Gestalten sich diese Gaben recht überschaubar, schlagen die zahlreichen Polizei- und Militärkontrollen mächtiger auf die Reisekasse. Diese Filzerei läuft nach dem stetig selben Schema ab. Kleine, bewaffnete Männer winken das Auto in die einzige und große Pfütze des jeweiligen Dorfes und verlangen, den Sani-Kasten zu sehen. Lässt sich der nach einem schnellen, visuellen Abscannen des Kofferraums sofort orten, wird das Ersatzrad oder anderes Equipment erfragt. Keiner von uns verspürt Lust, seine Taschen in den Pfützen abzustellen und dort zu öffnen, so dass in der Regel der Don in langwierige Verhandlungen geht, die mit einer Zahlung um die 20 Dollar und der erhofften Weiterfahrt enden. Alibimäßig werden dabei irgendwelche Scheinchen ausgestellt. Auf der Ruta de Hoya selbstverständlich, aber nach zwei Stunden Fahrzeit sind wir auch im Besitz von insgesamt fünf LKW-Transport- und Transfergenehmigungen. Für einen Pick-up und einen Kleinwagen japanischer Fabrikation.
Die weitaus angenehmere Seite Boliviens ist eine wunderschöne Landschaft, durch die wir in dem Fall leider rasen. Die Straße wird gesäumt von Felswänden, an denen jeder Faltungsprozess und jede Sedimentation abzulesen sind. Die Strukturen zeigen sich in Winkeln von bis zu 90 Grad, was von der gewaltigen Macht der geologischen Prozesse zeugt. Wir bestaunen inmitten der Kakteen- und Buschwälder des bolivianischen Chaco unzählige, ausgetrocknete Flussläufe, die, wie beim Rio Seco, kilometerweit sichtbare Sandstürme ermöglichen. Keine Zeit zum Verweilen.
Jedem Dorf sein Denkmal: Bauern, Arbeiter und Pioniere
Am Nachmittag erreichen wir die Zwei-Millionen-Stadt Santa Cruz, Guarani-Town, entgegen Wegners Zeit mittlerweile die größte des Landes und somit in Konkurrenz zu den von den Anden-Indios beherrschten administrativen Zentren Boliviens La Paz und Sucre im Hochland. Das Verhältnis zwischen Inka und Guarani ist ein kompliziertes und in der Historie begründet. Während die sesshaften, hoch organisierten Inka als wohlhabend und auf vielen Gebieten fortschrittlich galten, wird den Guarani ein Leben als Vagabunden und Landstreicher nachgesagt, die sich am Wohl anderer bereicherten und selbst nicht viel Erwähnenswertes in die Geschichtsbücher brachten. Der Unterschied zwischen einem Guarani und einem Deutschen wurde uns bereits in Paraguay recht anschaulich erklärt:
Moloch Santa Cruz: Stau und Straßenhändler, Weihnachtskappen im Hochsommer
Geht ein Guarani mit fünf Euro ins Bett, kann er nicht schlafen, da er diese nicht ausgegeben hat. Tut es der Deutsche, wird er nicht schlafen können, weil er befürchtet, nicht über den nächsten Tag zu kommen.
Transportlogistik I á la Bolivien
Ein für das Land klassischer Vorgang ist das Tanken. In Bolivien, das vom Venezuela des Despoten Chavez alimentiert und mit Öllieferungen begünstigt wird, löhnen Ausländer den dreifachen Literpreis eines Einheimischen. Das ist bei Beträgen um die 80 Cent immer noch spottbillig, allerdings zieht solch ein Tankvorgang ein bürokratisch-dokumentarisches Prozedere vor und nach sich, dass seinesgleichen sucht und uns zwingt, eine gute Stunde beim Dienstleister zuzubringen. Zeit, die Autos zweimal zu waschen.
Transportlogistik II
Im Moloch Santa Cruz verirren wir uns mehrfach, da hier noch der Erfindung des richtungsweisenden Verkehrszeichens geharrt wird. Zudem registrieren wir die freie Interpretation der Vorfahrtsregeln im häufigen Kreisverkehr. Auf dem anschließenden Weg nach Buena Vista wird die Vegetation wieder palmiger. Wir überqueren den am Ende der Trockenzeit kaum Wasser führenden Rio Pirai, jenen Fluss, auf dem in den Annalen von Richard Nikolaus Wegner explizit verwiesen wird. Hier war der Greifswalder Anatom und Anthropologe, zwei seiner Nachfahren haben wir an Bord, vor gut 80 Jahren unterwegs und gab so den Anstoß für das Ziel unserer Reise.
Trockengelegt: Rio Pirai, Wegner war hier mit dem Kanu unterwegs
In Buena Vista benötigen wir einige Fehlversuche, bis wir die für uns reservierte Quinta finden. Die Suche lohnt sich, denn es ist ein wunderbares Haus mit Pool, von dem wir ein fantastisches Panorama auf das ausgedehnte Grün unseres nächsten Reiseziels, den Amboro-Nationalpark, und die am Horizont sichtbaren Ausläufer der Anden Orientales genießen.
Versammlungspunkt: Internet-Café in Buena Vista
Dass wir heute Heiligabend feiern, wirkt auf uns unwirklich – kurze Hosen, Sandalen, Rock und Blüschen, 30 Grad … eine Premiere der besonderen Art. Wir verbringen den Abend an der Plaza von Buena Vista – einem recht romantischen, wuseligen Ort, an dessen abschüssigen Straßen kleine Indios mit wackligen Händen ihre vermutlich zur Weihnacht geschenkten Fahr- und Laufräder in halsbrecherischen Abfahrten testen.
Surreal: Weihnachtsschmuck bei brütender Hitze
Die Einheimischen begehen das Fest mit Böllern und den überall herumschwirrenden, erregten Kids macht die Zündelei sichtlich Spaß. Im vorbestellten Restaurant tauchen wir reichlich verspätet auf – nach einigen Diskussionen lassen unsere herzlichen Gastgeber die 21-Uhr-Messe sausen, was in Bolivien wahrhaft etwas ganz Besonderes ist, und bekochen uns, während wir vom Filius der Familie mit einem mantramäßig vorgetragenen Gedicht minutenlang unterhalten werden.
Urlaub im Urlaub: Blick in den Dschungel
Nach zurückgelegten 1500 Kilometern an den letzten drei Tagen werden wir den folgenden für die Entspannung nutzen. Vor dem nächsten Abenteuer.
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