Speisen nach Lautschrift

 

 

 

 

 

 

Greifswald (SPA): Nun bin ich zeitig dran. Ein nicht termingerecht durchgeführter Termin und schon habe ich satte 90 Minuten bis zum nächsten Gespräch. Und das auf einem außerstädtisch-peripheren Terrain, welches mir nicht einmal die Option offen lässt, ein Fachgeschäft zu betreten und terminlosen Frauen beim zeitlosen Anpassen von Schuhwerk zuzusehen. Gegebenenfalls bei Lust auf eine aktivere Art der Interaktion dabei zu beraten. Apropos satt: mich hungert es.

 

Die Kantine auf diesem Objekt für Staatsbedienstete ist geöffnet und so schlendere ich hinein. Es riecht nach Osten und schaut nach Mitropa. Hölzerne Einheitsstühle und mit Igelit bezogene quadratische Tische auf grauem Linoleum. Lassen sich hervorragend abwischen. Auch die Frau, die mich beim Betreten des „Speisesaals“ lauthals quer und auf 1,20 Meter Höhe durch ein Ausgabefenster begrüßt, ist in eine kunterbunte, bis ins kleinste Detail der figuralen Darstellung expressionistisch anmutende Kittelschürze gewickelt, die vermutlich in den 70ern des letzten Jahrtausends an einem Webstuhl eines volkseigenen Betriebes in Thüringen verbrochen wurde.

„Ich kann Ihnen eine Bockwurst anbieten, die ist in zehn Minuten fertig. Oder Sie warten noch eine knappe halbe Stunde und Essen wird geliefert. Drei Wahlessen!“ , gibt mir die Ausgeberin auf Einszwanzig Bescheid. Ich nehme die knappe halbe Stunde und einen Latte Macchiato. Coffee to Sit, der eher lattig schmeckt. Einige wenige Menschen in Uniform tauchen auf und verschwinden wieder, nachdem sie ein Heißgetränk geordert und empfangen haben.

Dann werden die Speisen geliefert. In quadratischen Schaumstoffboxen und ich bin am heutigen Tage der Erste, der einen Blick hineinwerfen darf. „Essen Drei kommt noch.“, empfange ich als sachdienlichen Hinweis, während ich die minimalistische Deklaration der Assietten bewundere. Essen nach Lautschrift. Meine Wahl fällt auf die Roladen und die Anspannung legt sich, als ich nach der Verklappung des Assiettendeckels wirklich das entdecke, was ich vermutet habe. Schmeckt auch besser, als ich es vermutet habe.

Der Saal füllt sich und ich werde satt. Ich lege das Besteck in eine bereitgestellte Schüssel, entsorge den Kunststoff und verabschiede mich auf Einszwanzig von der selbstbewussten Trägerin der Kittelschürze. Dann entdecken meine Augen Essen Drei.

 

Eine Bollonäse.   

 

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Kommentare: 1
  • #1

    DirkNB (Montag, 02 Oktober 2017 20:39)

    Pommes mit Majonäse, die man mit Geld aus dem Portmonee bezahlt, sehen zwar ähnlich ungewohnt aus wie bspw. das Schillie, vermutlich ein Gericht unseres gleichnamigen ehemaligen Bundesinnenministers. Im Gegensatz zu den im Beitrag beschriebenen finden sich die beiden Begriffe auch im Duden - genau so.