Die wundersame Genesung des Patienten W.

 

 

 

 

 

Greifswald (SPA): Ich ziehe den Vorhang ein wenig zurück und spähe in das Nachbarzimmer. Drei dahinsiechende Patienten und ein freies Bett, an dessen Ende ich auf einem Schild meinen Namen entdecke.

 

Meine Blase drückt und ich suche nach einer Ente. Finde eine, aber es läuft nichts. So stelle ich sie beiseite, rücke den Vorhang wieder zurecht und sehe mich hier im Zimmer um. In einem der beiden Betten liegt ein gelbes Kuscheltier. Daunen bis zum Nabel und das kenn ich. Hat André vor Jahren haargenau so fotografiert. Ich nehme das freie Bett, strecke mich aus und decke mich zu. Bis zum Hals.

 

Nun erst bemerke ich, dass ich die Tür nicht verschlossen habe. Denn dort ist Bewegung. Visite. Ein weißer Kittel und sofort erkenne ich ihn. Meinen Chef. Ich vernehme dessen Stimme aus dem Nachbarzimmer und ziehe instinktiv meine Decke ein Stück höher. Aber der Spalt in der Tür ist breit genug und schon steht er vor meinem Bett.

 

„Hannes, was machst du denn hier?“ „Rücken!“, sage ich und frage mich im selben Moment, was ich mit dieser Grunderkrankung hier in der Hautklinik verloren habe. „Wurde voruntersucht …“, fahre ich fort und zeige ihm eine kleine Narbe am Schlüsselbein, die ich trage, seitdem ich im zarten Alter von sechs Jahren beim Fußballspielen gegen einen Wäschepfahl aus Beton gelaufen bin, „… und soll morgen operiert werden.“ „Dann sehen wir uns morgen. Das mache ich.“, sagt mein Chef und schickt sich an, das Zimmer zu verlassen.

 

Fachfremd, denke ich überrascht, als er sich umdreht und auf der Bettkante Platz nimmt. „Sag mal, hast du Fieber?“. Er legt seine flache Hand auf meine Stirn. Sofort zuckt die zurück. „Dann gehe ich mal ein Thermometer holen.“ Ich nutze die Zeit, um selbst aufzulegen. Heiß und Hand wieder weg! Erschrocken starre ich auf diese, bei der aus dutzenden Brandblasen weißer Qualm quillt. Mein Chef steht wieder vor dem Bett, hält ein Fieberthermometer in die Höhe und fragt: „Wo?“. Da natürlich nicht und instinktiv spreize ich meinen rechten Arm ab. Als ich meine Achselhöhle wieder verschließe, bemerke ich, wie sich das Thermometer auflöst und ich es nach wenigen Sekunden nicht mehr spüre. Derweil erzählt er mir vom letzten Stones-Konzert in Hamburg, für das er im letzten Moment noch Karten zum Preis von 50 Euro ergattern konnte. Dann legt mein Chef mir die Hand auf die Stirn und sagt: „Siehst du? Geht doch!“.

 

Jetzt ...

 

... werde ich wach und bin hart. Schleiche im Dunkeln aus dem Schlafzimmer, durch Küche und Flur. Bekannte Laufwege. Im Bad schalte ich das Licht auf Muschebubu und setze mich auf den Pott. Die kleine Uhr auf dem Fenstersims zeigt 5:55 Uhr. Jene Zeit, auf die mein Wecker serieneingestellt ist. Aber heute ist Sonntag! Meine innere Uhr ballt eine Siegerfaust und schlägt sie mir in die Blase. Sofort setzt die stringente Entsorgung ein. Ich werde Ingo fragen, ob er die kurzfristig in der WhatsApp–Gruppe angebotenen Stones-Tickets doch noch losgeworden ist. Und dann:

 

Einen Mist träumst du.

 

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