Die Zeitreise des Otto von Bismarck

 

 

 

 

Greifswald (SPA): Es ist stockdunkel und diesig, als wir in Greifswald starten – so dunkel, dass es wenig Sinn macht, über Land zu fahren und ihm ein bisschen von der Schönheit Vorpommerns und Mecklenburgs zu zeigen. Nachdem er gestern noch mal gedankenverloren, dann wieder freudig erregt durch seine alte Heimat Eldena streifte, wirkt er nun ein wenig enttäuscht.

 

Otto von Bismarck ist hier, um ein wenig mit der Vergangenheit aufzuräumen. Heute fliegt er nach München, 7:50 Uhr ab Rostock-Laage, und wird beim dortigen Patentamt den nie getätigten Spruch wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 Jahre später aus dem Bismarck-Register streichen lassen.

 

Wir haben noch am gestrigen Abend per Computer gemeinsam eingecheckt und eine Bestätigungsmail erhalten, so dass ich beim Betreten der passagierleeren Empfangshalle schon ein wenig erschrocken bin, als ich die Ankündigung an der elektronischen Wand entdecke: 7:50, München, Cancellation. Mit dem Finger weise ich Bismarck darauf hin und präsentiere ihm eine Offline-Übersetzung. Sofort beginnt er mit einer strengen Konservation über Amtssprachen, der ich mich entziehe, indem ich Kaffee am Automaten ordere. Zwei Zucker für ihn.

 

Am Schalter erhalten wir keine Information über die Gründe der Stornierung, nur jene, dass Taxis zu einem Mittagsflieger nach Hamburg geordert werden, wenn alle Fluggäste anwesend sind. Was uns Raum für Spekulationen bietet. Leerer Flieger, akuter Bodenfrost bei zwei Grad Minus, defekte Enteisungsmaschine, Pilot krank. Bismarck sagt: „Der Franzose.“ Ich: „Vergiss es. Das sind jetzt Freunde.“  Dann setze ich fort: „So ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort …“. „Hör bloß auf!“, unterbricht mich Bismarck wirsch.

 

Während wir den Kaffee trinken, finden sich weitere Passagiere ein. Und es spielen sich Dramen ab. Die Frau, die extra am Tag zuvor von der Insel Rügen hierher fuhr, um alle Formalitäten zu erledigen und nun Gewissheit erlangt, dass sie ihren Anschlussflug nach Delhi nicht erreichen wird. Der junge Mann, der einen viel zu weiten Anzug trägt und durch sein stetes Zupfen am Schlips seine Mutation zu einem Nervenbündel dokumentiert. Der Mann mit der gepflegten Keinhaarfrisur, der sich in unseren Rücken setzt und zwanzig Minuten lang über Handy fünfzehn Termine umkoordiniert. Die ältere Dame, die beim Betreten des Foyers ihren Mann mit Kuss verabschiedet hat, die jedem bekundet, dass ihr der Flug ab Hamburg nichts nütze und sie jetzt eine gute Stunde warten müsse, da ihr Angetrauter das Handy nicht dabei habe. Der geschäftig wirkende Mann, der bei einer fünfzehnminütigen Schalterdiskussion seinen Kopf so stark erhitzt, dass er dessen hohe Röte bei vier Sturzzigaretten vor der Drehtür auf Normalteint herunterfahren muss.

Bismarck wirkt hingegen entspannt und spielt an seiner Haube. Genauer gesagt, massiert er den Pickel seiner Haube. „Wann ist der Termin?“, frage ich. „12 Uhr.“  „Das ist nicht zu schaffen.“ „Dann bleibt das so.“, schlussfolgert Otto von.

Wenige Minuten später erscheint das erste Taxi und ein Stoß Passagiere wird nach draußen gebeten. Lunchpakete werden verteilt. „Ich war noch nie in Hamburg.“, sagt der Taxifahrer. Und Bismarck so: „Ich schon.“

 

Dann steigt er in eine Kutsche und rast davon.
  

 

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