Ende Gelände

 

 

Greifswald (SPA): Ich bin unterwegs zum Sandow-Konzert in Rostock und entdecke im Vorbeifahren zwei junge Männer an einer ziemlich ungünstigen Stelle am Straßenrand stehen. „Rostock“ ist auf einem Schild zu lesen, das der eine vor der Brust trägt. Zu spät gesehen, denke ich noch und biege wenig später am Ende der Grimmer Straße nach rechts ab, um zu tanken. Ein Dutzend weiterer Feierabendtanker haben offenbar dieselbe Idee, weshalb ich sofort kehrt mache, wieder in Richtung Bahnhof fahre, auf dem Netto-Parkplatz halte und hinüberrufe: „Wollt ihr mit?“.

 

Der Stillere von den beiden setzt sich auf die Rückbank, während der andere, der wohlwollend bemerkte, dass ich wegen ihnen umgekehrt bin, sofort in den Kommunikationsmodus schaltet. Nach wenigen Minuten haben wir die Themen Musik, Studium, Ernst Moritz Arndt und spätsozialistischer Widerstand in der DDR zumindest bis zum Permafrost umgegraben. Dann wird es tagespolitisch.

 

Mein Beifahrer erzählt mir von der letztjährigen „Ende Gelände“-Aktion in der Lausitz, die ihn als Klimaaktivisten in das Braunkohlerevier und nach Spremberg, Hoyerswerda, Welzow und so manch anderes Örtchen verschlagen hat. Ich höre still zu, bis er in einem enttäuschten Schlusswort bemerkt, dass er absolut nicht verstehen könne, mit welcher Ablehnung, teilweise Feindseligkeit, die Menschen in der Lausitz ihrem doch so hehren Anliegen gegenüberstanden.  

„Du musst wissen, …“, sage ich, „dass ich in der Nähe von Hoyerswerda aufgewachsen bin.“

Nach seinem erstaunten Ach gebe ich ihm ein paar Sekunden, um diese Information zu verdauen. Es folgen weitere. Dass von den ehemals in der Braunkohle Beschäftigten, ich schätze 120000, vielleicht noch ein Zehntel in dieser Branche tätig sind (Anm.: laut MDR sind es noch 10000 von ehemals 150000). Dass das eben nicht ein langjähriger Prozess wie im Rheinischen Revier war, sondern ein rigoroser und, schlimmer noch, fast alternativloser Kahlschlag. Dass die Einwohnerzahl Hoyerswerdas binnen weniger Jahre von 70000 auf bisschen über 30000 geschrumpft ist. Dass aus der neben Neubrandenburg jüngsten Stadt der ehemaligen DDR quasi ein Altenheim geworden ist, da die Jugend ab den 90ern massiv wegmigriert. Dass ich bei einem Spaziergang durch mein Heimatdorf kaum noch Kindern begegne und es nichts gibt, das mir ein Deja vu an die eigene Kindheit verschafft. Dass die sozialen Brennpunkte in diesem Ort zwei hingepflanzte Discounter und der Friedhof sind - ein Erlebnis, das mich, der in einer jungen Studentenstadt wie Greifswald lebt, jedes Mal deprimiert die Heimreise antreten lässt.

 

„Und jetzt kommen genau solche jungen Leute zu den Eltern und Großeltern jener jungen Menschen, die aus der Lausitz abgewandert sind und abwandern, hüllen sich in weiße Overalls, toben durch die Abraumdünen von Welzow-Süd oder Nochten und haben eine einzige Botschaft: Ende Gelände. Blumen hätte ich da wirklich nicht erwartet.“    


Link zum Video des MDR

 

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