Allein unter Frauen - Teil 1

 

 

Greifswald (SPA): Traditionell lädt Lena kurz vor dem feierlichen Entzünden der ersten Adventskerze einige Freunde zum Plätzchenbacken ein. Der Anstoß erfolgt am Samstag um 15:30 Uhr. Eine Parallelveranstaltung zur Bundesliga. Wenige Minuten nach Drei betätigen die ersten Hobbybäcker den türsignalen Klingelknopf. Heide schlägt auf Position Eins auf. Dann läuten Ina und Marlen. Bisschen später Lena Zwo mit Tochter. Und zum Schluss erscheint Kristin. Männer? Ich bin da.

 

Mit der Komplettierung der Runde wird es Zeit für eine erste gesellige Handlung. Marlen gibt sich initiativ und zückt mit einem zielsicheren Griff eine Flasche aus den Tiefen ihrer ungeduldig auf dem Schoß abgestellten, großvolumigen und ledernen Handtasche. Nun präsentiert sie der illustren Runde siebzig Zentiliter Sanddornlikör in Original-Abfüllung von der Insel Hiddensee. Steht laut Marlens Angaben seit vier Jahren unberührt bei ihr im Schrank. Ab heute: stand. Sie schüttelt das Gefäß kraft ihrer gewaltigen Oberarme exakt drei Minuten und 24 Sekunden lang. Die gläserne Transparenz erlaubt dabei dem aufmerksamen Betrachter einen fantastischen Panorama-Blick auf den sich gleichmäßig verteilenden Sanddornsatz im Innenraum der Flasche. Gleichzeitig mit der in femininer Lockerheit intonierten Frage „Erst ein Likörchen?“ erscheinen durch Lenas vorausschauende Handlungsweise passende Gläser auf dem Tisch.

 

Im Zuge der oralen Verschüttung eines ersten Glases schweift Marlens neugieriger Blick in das ihr noch nicht so ganz vertraute Rund. Schließlich bleibt dieser ruckartig an einem kunstvollen Deckengehänge haften, das sie am Eingang in den kleinen Flur erspäht: ein bei einem herbstlichen Spaziergang am Ludwigsburger Strand durch Lena aufgelesenes, interessant geformtes und von Baumrinde befreites Geäst, das von ihr in filigraner Heimarbeit mit diversen Sachen dekoriert worden ist. Neben Federn einheimischer Wasservögel, in Schichten drapiert und in unmittelbarer Nähe zum Fundort des Gehölzes aufgesammelt, sind an diesem Strandgut einige Nachbildungen von Fischen befestigt, deren Körper aus Drähten, Muscheln und Holz modelliert sind. Lenas künstlerische Freiheiten offenbaren sich in einer, vorsichtig formuliert, leichten Überproportionierung der Brustflosse. An jener Proportion, der so viele andere Gäste des Hauses bis dato keine Beachtung geschenkt haben, nageln sich soeben Marlens Augen fest. Ich lehne mich erwartungsvoll zurück.

 

 „Also Lena! Hast du da nicht ein bisschen übertrieben?!“ Lässt dieser Ansatz einer themenbezogenen Kommunikation noch die Setzung von Ausrufe- oder Fragezeichen offen, so wird diese Unklarheit mit den nächsten Diskussionsbeiträgen anderer Aktivistinnen der getränkebegleitenden Interaktion schnell beseitigt. „Der macht doch alle glücklich!“ (dieser Einwurf in Form eines multiplen Echos). „Der gesamte Körper: Moderlieschen. Das Unten (Ich muss grinsen, da mich ein Gefühl der Hochachtung ob dieser geschlechtsneutralen Wortfindung übermannt): Hai.“

 

Weiteren Behauptungen folgen Fragen. Fragen, die nicht beantwortet werden wollen. Nicht im Hier und nicht im Jetzt. „Gilt das schon als Erektion?“ „Bekommen Fische überhaupt eine Erektion?“ Und so weiter. Wohlgemerkt und noch einmal zur Erinnerung: Verbaler Austausch, scheinheilig getarnt als tiefgründige Kunstdiskussion, während der Verkippung eines ersten Sanddornlikörs. Ich, in einem sehr strengen Lausitzer Winter im Sternzeichen des Fisches abgelaicht, mische mich mal kurz ein und insistiere faktenorientiert. Mit einiger Sicherheit könne ich behaupten, dass auch Fische durchaus die Fähigkeit zu einer Erektion besäßen. Allerdings muss ich feststellen, dass die Damen in jenem Moment allein für einen gleichgeschlechtlichen Austausch von Informationen empfänglich sind. Und kein Ohr für solch doppelsinnige, die Unterhaltung auflockernde Einwürfe eines männlichen Individuums haben.   

 

Ich lehne mich zurück nach vorn, scanne binnen Sekunden sieben weibliche, in allen Farben glänzende Augenpaare und staune. Obwohl ich dieses Phänomen schon oft bestaunt habe. Alle in femininen Hirnen fest verankerten, minder komplexen und von Klischees besetzten Vorstellungen von Fußball spielenden Männern, die nur am Training teilnehmen, um danach auf einem Parkplatz stehend ein paar Bier zu leeren und dabei Zoten zu reißen, werden in einer Frauenrunde, die zum Zwecke des Plätzchenbackens keine zehn Minuten zusammenhockt und soeben ein erstes Likörchen konsumiert hat, ad absurdum geführt. Es erfolgen keine Präzisierungsansätze zu den Wörtchen „alle“ und „glücklich“. Keine Evaluation. Keine Erfahrungsberichte. Marlens einleitender Satz schwebt als von den Veranstaltungsteilnehmerinnen lediglich bekräftigend kommentiertes Manifest in der kaminwarm geschwängerten Luft dieses Zimmers unter der überproportional montierten Brustflosse eines Kleinkunstfisches. Ich, der Fußball spielende Mann, der zum Training geht, auch um danach mit Freunden auf einem Parkplatz stehend ein Bier zu trinken, dabei über Weltpolitik, Arbeit, Familie und, falls Zeit und verbleibendes Bier es erlauben, über von Westen durchziehende Zyklonen zu reden, weiß: solch eine Thematik ist bei Männern …

 

Endstadium.

 

Falls überhaupt. Kommt weit nachdem Zyklonen zu Zyklopen werden. Und ich bin gespannt auf den restlichen Vorabend. 

 

Lena hat bereits kurz vor zwei Uhr nachmittags und somit lange Zeit vor der Ankunft der restlichen Plätzchenherstellerinnen die ersten Werke in meditativer Backkunst fertiggestellt. Trotz einer von mir am Vormittag vorgetragenen Intervention nutzte sie meine kurzzeitige Abwesenheit von der Dauer eines Fußballspiels zur Fabrikation zweier Bleche Hildegard von Bingen-Keksen. Gesund und mit etwas drin. Meint zumindest unser Hausnachbar, der in den letzten Jahren zum Hauptimporteur des tiefbraunen, mit Muskat, Nelken und Zimt versetzten Gebäcks avancierte. Somit widmet Lena nun ihre ganze Aufmerksamkeit der Kühlung postlikörer Getränke und bestückt das häusliche Kühlelement gleich mit einem halben Dutzend Prosecco- und Weißweinflaschen.

 

Derweil beginne ich damit, beim restlichen Personal Eigenmotivation, Arbeitsverhalten, Kreativpotential, Produktivität sowie andere interessante Details des Backhandwerks zu analysieren. Wie gewohnt präsentiert sich Heide glänzend vorbereitet und hat gleich zwei mit angerührtem Teig gefüllte Schüsseln mitgebracht. Diese klebrigen Massen müssen nun manuell gen Backstärke gewalzt werden. Natürlich auf mit biogenem Weizenmehl bestreuten Holzbrettern. Anschließend wird der Teig mittels verschiedener, in weihnachtlichem Design gehaltener Aluminium- und Plastik-Förmchen mundgerecht zugeschnitten. Ich halte mich bei der Verteilung der Formen vornehm zurück und bekomme zu guter Letzt die Kreise und Quadrate zugewiesen. Da ich mit der simplen Geometrie dieser Schablonen gemäß einer von Lena lautstark vorgestellten Soll (Architektur) – Ist (feinmotorische Kompetenzen) - Analyse wenig Schaden anrichten kann.

 

De facto ist das die verbale Bescheinigung einer ausgeprägten Stanzschwäche.

 

Hinsichtlich eines optimalen Teigverbrauchs sind Kreise für rationell schließende Männersynapsen eine eher undankbare Aufgabe. Somit tendiert bei mir der Kreis-Förmchen-Nutzungs-Index gegen Null. Es ist klar, dass nur wenig Zeit verstreicht, bis mich trotz aller zur Schau gestellten Eifrigkeit ein dezenter, jedoch in unmissverständlicher Mimik formulierter Hinweis erreicht, ich möge bitte nicht nur Quadrate aus der Masse stanzen. Zudem erwähnt Lena in einem Nebensatz, dass ich mich ja auch um das musikalische Entertainment der Anwesenden kümmern könne. Was unter einer rein audio-ästhetischen Sicht wahrlich keine Aufforderung ist, mit der Intonation eines Liedes zu beginnen, in dem der Vorweihnachtszeit oder gar dem Backhandwerk gehuldigt wird. Aber Lena trifft damit die Schnittstelle meiner Kernkompetenz.

 

Auf diese sympathische und zurückhaltende Art für einen neuen Arbeitsauftrag sensibilisiert schreite ich an die Musikanlage. Lena wird es eventuell vermuten, die anderen Frauen mit Sicherheit nicht: Hierauf bin ich bestens vorbereitet. Natürlich sollte solch ein Tag nicht mit den Pixies beginnen, wo mir bereits beim ersten von Kim Deal gezupften Gitarrenakkord eine feindliche Bemerkung á la „schreckliche Musik“ entgegenschnellt. Aber solch ein Tag sollte wenigstens mit einer Scheibe von den Pixies oder einer der Smiths enden. Im Rahmen eines geschickten methodischen Aufbaus der musikalischen Backbegleitung für die sich heute vor Ort befindenden Konsumenten gehe ich im ersten Drittel der Veranstaltung Kompromisse ein. Dazu zählt, dass ich nun in Lenas alphanumerisch konfus sortiertem Teil des CD-Regals zielgerichtet nach Musik einer lateinamerikanischen Combo namens Maná suche. Finde. Einwerfe. Die Lautstärke kommunikationskompatibel drossle. Auf dem Rückweg zum Tisch baue ich einen nicht beachteten, schleichenden Samba-Move ein. Ich lobe mich: Stark, Hannes! Wieder am Tisch greife ich nach der Kreisstanze. Lena lächelt.

 

Auch rundherum zufriedene Gesichter.     

 

 

 

… Teil 2 mit viel Musik, Backdetails, einer sorbischen Wurstsoljanka und Inas Geheimnis ... am Sonntag!

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Jens (Donnerstag, 07 Dezember 2017 13:55)

    Die Aussicht auf die sorbische Wurstsoljanka lässt mich ungeduldig wartend zurück.

  • #2

    Hannes (Samstag, 09 Dezember 2017 12:44)

    Sie schmeckt besser als sie sich liest :)