Fossiler Schnee, Jahrgang 2012
Greifswald (SPA): Die Welt schreibt den 3. Januar 2018 und ich habe mich durch dutzende Jahresrückblicke geklickt. Es ist so, als habe die Hautevolee der Blogger-, besser Influencer-, Szene diese bereits Ende Dezember auf der Festplatte, um dann am Neujahrstag in die Welt zu posaunen, was letztjährig am Tag X um die Hüften getragen, an Tag Y menürisiert oder welcher Flix-Bus am Tag Z Verspätung hatte. Wir von Brycke sind spät dran, möchten uns diesem Trend keinesfalls verwehren und schreiben zum Frühstück nieder, was uns in den vergangenen zwölf Monaten bewegt hat. Immer im Bewusstsein: Das Beste kommt zum Schluss!
Apropos Schluss …
… 2016 schloss so, wie 2017 begann. Schneelos! In einer von mir erfundenen sorbischen Weisheit heißt es, dass neugeborenen Jungen in Sorbien noch vor dem ersten Besuch eines Wickeltisches Cleverness in das Brusthaar gekämmt wird. Deswegen besitze ich (neben ein paar sanften Brusthaaren) einen Schneeschrank, der mir bei Bedarf die Sicht auf 2012er Fossilien der globalen Erderwärmung ermöglicht. Ein, zwei frostige Blicke am Tag genügen, um diese geschichtlichen Reliquien für die Nachwelt haltbar zu machen. Dies ist besser und sicherer, als dem vagen Orakel des Greifswalder Wettermannes zu vertrauen.
Apropos Orakel …
… mein ehemaliger Abteilungsleiter, ein sehr euphorischer Mensch, der die Arbeitsstätte als sein Zuhause definierte, schickte seine Untertanen einst mit einer mystischen Mail ins neue Jahr. Der Grünspecht war von ornithologisch gebildeten Fachleuten als „Vogel des Jahres“ auserkoren worden und allein basierend auf dieser Tatsache, ein vermutlich zufälliger Netzfund, wünschte er uns über Outlook die Beharrlichkeit dieses Vogels bei der Bewältigung unserer alltäglichen Aufgaben. Nur, das ergab eine zur persönlichen Unsicherheit beitragende Recherche, ist der Grünspecht der faulste unter den Spechten, der mehr durch sein auffälliges Paarungsgehabe in Erscheinung tritt als durch triste Holzklopferei.
Apropos Vogel …
… nach dem Vogelstimmen-Dilemma beim Exil-Kneipenquiz, der intellektuellen und durststillenden Konstante in unserem donnerstäglichen Leben, haben wir uns gefangen und dem Dudelhühner-Team sporadisch den Flügelschlag aus dem Tiefparterre dieser Greifswalder Location versaut.
Apropos Stimme …
… die Stimme des Volkes hat sich im letzten Jahr in der Causa Greifswalder Universitätsumbenennung gewaltig um die Entscheidungsautonomie der Hochschuleinrichtung gewickelt. Wir registrierten auf Demonstrationen einen ersten Kandidaten für das Unwort des Jahres: Geschichtsexorzist (später sollten anderenorts mit Geburtendschihad und inverse Migration weitere hinzukommen). Ebenso die Wiedergeburt des mittelalterlichen Prangers. Auf dem Markt versammelte sich das Who is Who des nordöstlichen Ablegers der alternativen Partei und ließ die arisch-blondeste Vertreterin die Antikriegs-Hymne „Sag mir, wo die Blumen sind“ neu und als Anti-Flüchtlings-Hymne intonieren. Ob ein Arppe (schließlich stand der Geleakte hinter ihr) – Finger für diese schräge Version verantwortlich war, darf vermutet, kann jedoch nicht bewiesen werden. Zuletzt gab es noch die Menschenkette für Arndt, Luftballons für Arndt und, soviel steht heute fest, es wird die Menschengasse für Arndt geben. Was folgt noch? Ein Gleis für Arndt. Ein Kreis für Arndt. Ein Gipfel für Arndt. Das Volk ist in Bewegung.
Apropos Gipfel …
… nachdem Uschi das lange Sommerloch anleyente, hielten uns die Medien mit der Berichterstattung vom Hamburger G20-Gipfel bei konstant hohem Blutdruck. Wir von Brycke hatten uns in einer Vorbetrachtung dem Ansinnen des Weis(s)en Blocks gewidmet, das bei der Veranstaltung selbst leider nicht in den Vordergrund trat. Für einen Tolkien wohl zu langweilig.
Apropos Blutdruck …
… mit den Berichten von einer Plexusanästhesie und einer Gipsbefreiung trugen wir jenen Wünschen Rechnung, die sich am Anfang eines Jahres mit dem Thema „Gesundheit“ verbinden. Ehrlicherweise muss ich an dieser Stelle schreiben, dass diese Artikel Auszüge aus einem Buch sind, an dem ich mittlerweile vier Jahre arbeite. Unter anderem habe ich dort erwähnt, dass ich mich gewiss nicht zu den härtesten Kerlen zähle, was achselhöhlenvenös verabreichte Behandlungen mit spitzen Gegenständen betrifft – Worte, die sich durchaus auch für andere Sektoren der gesundheitlichen Grundversorgung verallgemeinern lassen. Umso stolzer macht es mich, dass ich, für einen Zeitraum von zwei Wochen allein gelassen, eine niederträchtige Männergrippe völlig unbeschadet überlebte und trotz der Abwesenheit einer fleischgewordenen Klagemauer auskurierte.
Apropos Worte …
… „i bims“ ist zum Jugendwort des Jahres gekürt worden. Da es mir ein Vergnügen bereitet, mit der deutschen Sprache und ihren Vokabeln zu spielen, gibt es im Blog alle Neuentdeckungen auf einen Blick. Und auch immer wieder solche, die es einfach verdienen, dokumentiert zu werden.
Apropos Entdeckungen …
… es sind die kleinen, die unser Leben beschreiben. Wir, als Fotograf und Texter, haben vom Aussterben bedrohte Sportgeräte ausfindig gemacht, das Impulsverhalten auf Partys analysiert, wahrlich Märchenhaftes und gar Mystisches entdeckt, unsere Sicht innovativ erweitert und und … und all diesen Entdeckungen auf einem Nischenblog eine seriöse Heimat gegeben.
Apropos seriös …
… auf höchscht seriöse Art und Weise ging die Bundestagswahl 2017 über die politische Bühne. Die Raute bleibt und wird umfasst von einer linken und rechten Flügelzange, die mit allen Abwassern gewaschen ist. Dass die Bundestrainerin den schönen Christian mittlerweile wieder aus dem Kader geworfen hat (und wir als Fans diesen Sports damit jede Hoffnung verlieren, dass er die Kreuzbänder seiner Gegenspieler irgendwann am Designer-Gürtel tragen wird), mag auch daran liegen, dass er sich den gestrengen Fashion-Auflagen im Team nicht unterwerfen möchte.
Apropos Fashion …
… zum Fashion-Blog taugen wir nicht. Wir haben es sporadisch versucht, aber zumindest ich scheitere damit schon im normalen Leben. Den Satz „Zieh doch mal ein Hemd an!“ höre ich sehr oft – jedoch bevorzuge ich als bei feinmotorischen Arbeiten zurückhaltender Mensch Hemden ohne Knöpfe. Das sind bekanntlich T-Shirts.
Apropos Knöpfe …
… zu einem Jahresrückblick gehört gewissermaßen traditionell ein Best of. Jeder sollte wissen, welche Knöpfe er auf seiner Tastatur drückt. Mich bewegen, von Nische zu Nische springend, Blogs, die etwas zu sagen haben, weil sie die kleinen Dinge des Lebens auf dem Schirm besitzen. Meine Top 3 des Jahres 2017 sind (es folgt ein von einem Platzdeckchen gedämmter Trommelwirbel mit Frühstücksmesser und Eierlöffel):
Das Kuckuckseiimlehrerzimmer, da mich die einzigartige, bildliche Sprache mitten in die absurdesten Geschichten zieht, die nur mit äußerst wachen Augen gesehen und mit hellster Fantasie beschrieben werden können.
Das Coffeepottdiary, gleich aus der Nachbarschaft, da es mit norddeutscher, lakonischer Trockenheit Erlebnisse aus dem schweren Dielenboden zaubert und uns diese bei einem Pott Kaffee (oder auch einem Single Malt) ins Internet pult.
Der Lamundus-Blog, der mit teilweise irrwitzigen Geschichten und Entdeckungen glänzt, die es nie oder nur versteckt in die Medien geschafft haben, es aber trotzdem wert sind, weiter recherchiert zu werden.
Apropos Trockenheit …
… draußen regnet es. Ich geh jetzt Schnee gucken.
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Jens (Mittwoch, 03 Januar 2018 16:47)
Das Coffeepotdiary sagt Danke für die freundliche Erwähnung... möchte aber kurz anmerken, dass die Spezialität eher amerikanische Whiskeys denn die Single Malts sind... :)
In diesem Sinne ein schönes und erfolgreiches Jahr... in jeglicher Hinsicht! :)
Hannes (Mittwoch, 03 Januar 2018 22:04)
Bitte & Danke ... auch ich habe eine komische Art, um zu evaluieren, ob der Blog bis ins letzte Detail verschlungen wird :). Hatte natürlich den Bourbon bei dir auf der Seite gesehen, aber ich denke beim Lesen deiner Zeilen entsprechend meiner Vorlieben immer an einen Single Malt.