Greifswald (SPA): In einem innovativen und mutigen Schritt wagt sich die Hansestadt Greifswald als erste Kommune Deutschlands an die Anonymisierung der Wegebeschilderung. Nach dem Willen der Stadtverwaltung sollen Straßen, Wege, Gassen, Tunnel und Plätze künftig nur noch mit Initialen gekennzeichnet werden.
„Wir möchten die Bürger der Stadt mit dieser Optimierung in die Verantwortung nehmen und ihnen selbst die Entscheidung überlassen, für welche persönliche politische Korrektheit das
Namenskürzel steht. Schließlich kann sich das ja individuell von einen Tag auf den nächsten ändern.“, antwortet Oberbürgermeister Stefan Fassbinder auf eine sachbezogene Anfrage unseres
Ressortleiters Verkehrswesen.
Demnach steht also in Zukunft jedem frei, wie man die auf ein Minimum beschränkte Ausweisung des Greifswalder Straßen- und Wegenetzes auslegt. Der K.-M.-PL (siehe Foto) wird für einige
der Platz des Philosophen Karl Marx bleiben, Hobbydirigenten werden ihn als Kurt-Masur-Platz definieren und DDR-Studenten, die in den Genuss des Karl-May-Stipendiums
kamen, künftig unter der Adresse des Schöpfers von Old Shatterhand firmieren. Und es ist nicht auszuschließen, dass es irgendwo in Greifswald einen Konstantin Müller oder eine Kerstin Münch gibt,
denen das Herz höherschlägt, wenn sie in den K.-M.-PL biegen.
Rein rechnerisch stünden für die Beschilderung 676 Kombinationen von Initialen zur Verfügung, wobei einige davon durch das Straßenverkehrsamt als nicht bzw. kaum gebräuchlich eingestuft worden
sind (Anm. der Redaktion: die einzige bekannte Person mit den Initialen XX, der neunjährige Xaver Xenon, besucht eine Grundschule im Allgäu und
kann aufgrund seines überschaubaren Lebenswerkes (noch) nicht für eine administrative Namensgebung berücksichtigt werden). Konkret heißt das: wegen der Überschreitung dieses arithmetischen
Grenzwerts wird in der Verwaltung darüber nachgedacht, einige Straßen in Greifswald abzuschaffen und/oder sie in den Status eines Weges oder einer Gasse hinabzustufen. Auch Straßennamen wie z.B.
den in Greifswald gebräuchlichen „Wenden“ soll wegen der politbegriffstoxischen Note der Garaus gemacht und für diese ein initialer Ersatz gefunden werden.
Nicht jede(r) Bürger(in) der Hansestadt mag sich allerdings mit diesem Maß an Selbstverantwortung engagieren. Bereits in den gestrigen
Nachmittagsstunden kam es kurz nach Bekanntwerden der neuen Regelungen zu einem spontanen Demonstrationszug von circa 37 Personen, die sich letztendlich AF versammelten. Dort wurden Pappschilder
mit den Aufschriften "Ich fordere meine Namen zurück" und "Ich möchte wieder lachen und tanzen" entfaltet sowie Verse aus dem Grundgesetz zitiert.
Bereits ab Anfang Juli soll die neue Wegebeschilderung behelfsmäßig umgesetzt werden. Einheimische Malerbetriebe werden dann vorerst jene Schilder bearbeiten, bei denen die beschlossene
Novellierung durch ein Überstreichen der überflüssigen Initialenanhänge möglich ist.
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Sabiene (Donnerstag, 25 Juni 2020 16:46)
Das ist doch prima!
Ich habe als (Wessi-) Kind nie so ganz verstanden, dass nach dem Erfinder von Winnetou und Old Shatterhand eine ganze Stadt benannt worden ist.
LG
Sabiene
Anton Steiniger (Mittwoch, 23 Dezember 2020 00:44)
@Sabienes
Danke für den Kommentar! Da kann ich mich nur anschließen!