Greifswald (SPA): In unserer sporadischen Reihe der vergessenen Sportarten und -geräte beschäftigen wir uns heute mit dem Draisinen. Im Zuge der sukzessiven Verlegung des Personen- und Warentransports von der Schiene auf die Zukunftstechnologie Straße erlebte diese Art der Körperertüchtigung in den letzten 30 Jahren eine beispiellose Renaissance, die selbst in Mecklenburg-Vorpommern findige Unternehmer animiert, sich durch die Bereitstellung und Vermietung entsprechender Geräte Lohn und täglich Brot zu sichern. Auch leitende Angestellte von Unternehmen nutzen zunehmend dieses Angebot, um Grenzen der physischen Belastbarkeit ihrer Mitarbeiter auszuloten und sich im Team finden zu lassen.
Geschichte
Bereits in den feuchten mittelalterlichen Fitnesskellern kamen draisinenähnliche Geräte zum Einsatz. Im stationären Betrieb diente die spärliche Ausstattung (ohne Leder, viele
Spitzen und Kanten) sowie der teilweise kopfüber vollzogene Betrieb vor allem dazu, die Kommunikation des Nutzers in eine gewünschte Richtung zu lenken. Erst mit der Erfindung der gusseisernen
Schiene (um 1730) sowie der Fähigkeit, diese parallel zu verlegen, erlangte die Draisine jene mobile Outdoor-Tauglichkeit, die in England beginnend Sportbegeisterte überall auf der Welt in ihren
Bann zog. Die ökonomisch nachhaltigere Nutzung des flächendeckenden Schienennetzes durch das Eiserne Pferd führte schon ab Beginn des 19. Jahrhunderts zur Verdrängung der Sportart, die seitdem
ihr Dasein in leicht abgewandelter Form als Indoor-Draicycle oder Spinning-Draisine in den Fitnessstudios des Industriezeitalters fristet.
Wettkampfgedanke
Der Wettkampfgedanke kann beim Draisinensport getrost ins Gleisbett gedrückt werden. Der tiefe Schwerpunkt sowie die starre, eingleisige Streckenführung machen das Gerät de facto
unlenkbar, was die alleinige Konzentration auf die muskelbetriebene Fortbewegung einer Draisine fördert. Jeder Überholvorgang wird durch durch die extragleisige Beschaffenheit (grobkörniges
Gestein, Bohlen, angrenzendes Biotop) abrupt ausgesetzt und ist nicht zu empfehlen. Auch im Sinne einer besseren Aerodynamik vollzogene Spielchen (z.B. das tiefe Beugen des Oberkörpers) wie man
sie von der Tour de France oder den Rush-Hour-Rennen auf der Greifswalder Pappelallee kennt, verpuffen wirkungslos ohne jeden Raum- und Positionsgewinn. Letzterer oder -verlust können nur erzielt
werden, wenn Sportler auf eine andere Draisine umsteigen oder in einem unbeobachteten Moment (z.B. an einem Versorgungspunkt) ihr Gerät aus dem Gleisbett heben und nach vorn tragen. So obliegt es
dem psychologischen Geschick des Streckenarchitekten, durch die Schaffung von Gimmicks (langgezogene und kurvenlose Strecken, Steigungen, Tunnel (siehe Foto)) für Erfolgsmomente beim
Sportler zu sorgen.
Besonderheiten in der Ausstattung
Die spartanische, eindeutig funktional orientierte Ausstattung von Sportdraisinen ist traditionell. Mittelalterliche Besonderheiten wie Spikes auf Sattel oder Pedale sind durch
nutzerfreundliche Extras wie Kunstlederbezüge oder Vollgummierung ersetzt worden. Eine Holzbank ermöglicht zwei Wechselsportlern kurze Rekreationsphasen, während in ihrem Rücken zwei weitere
Aktive ihren Puls bei Geschwindigkeiten um 8 km/h in die Höhe strampeln und damit erst den mobilen Charakter der Draisine bestätigen. Immer mehr Anbieter integrieren unter dem Aspekt der
Ressourcenschonung Abstellmöglichkeiten auf dem Sportgerät, womit sich die Mitführung eines externen Mitropa-Waggons erübrigt. Die Enge auf dem Gerät ermöglicht den einfachen Zugriff auf hier
platzierte Mitbringsel aus jeder Position - egal, ob sich der Sportler in der Ruhe- oder aktiven Phase befindet.
Teamfindung
Zum Zwecke der Teamfindung nutzen Menschen beim Draisinen individuelle Kompetenzen wie Kreativität und Spontaneität. Entsprechende Impulse können u.a. durch das
Abreißenlassenmüssen von der Gruppe (Team) oder den Wunsch nach einem teamorientierten Zusammengehörigkeitsgefühl aktiviert werden. Ein simples Kopplungsstück wie ein Gürtel, festgezwirbelt an
der Ruhebank der vorläufigen Draisine, lässt sich rasch herstellen, falls der Sportler für sich die folgende Frage teamfindend beantwortet hat: Ist der Sitz der eigenen Hose wichtiger als
mein Dienst für die Mannschaft?
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Stephan (Dienstag, 01 September 2020 12:36)
Cool. Danke für die Empfehlung!