Subbotnik bei der KFAaK

 

 

Greifswald (SPA): Lokaltermin in den Ruinen der Krankenkasse für Foto-Art und andere Kunst (KFAaK). André Hollatz, der sich in Greifswald seinen Künstlernamen Knepulski in der kreativen Branche hart erarbeitet hat, baut sich breitbeinig hinter einem hochmodernen Sauggerät auf und schaut ernst in die Kamera. Schlauch und Bodenschnüffelstück ächzen plasten unter seinem Aufstützgewicht. Lose verteilt sind rundherum Steine zu sehen, gesplittertes Holz, marode Rohrsysteme, rostiges Metall. Viel Staub. Unheimlich viel Staub.

Wofür der Krieg und vierzig Jahre deutsch-demokratische Sanierungskultur nicht gereicht haben, das schaffte nun eine Epidemie ungeahnten Ausmaßes. Die jüngste Grippewelle lässt die einheimischen Krankenkassen verarmen. Auch die KFAaK. Dringend nötige Arbeiten zur Erhaltung der baulichen Substanz können nicht durchgeführt werden. Ist-Stand: kein Stein liegt mehr auf dem anderen.

 

Knepulski war mittendrin in einer Männergrippe. Mit Tränen (oder ist es Schweiß?) auf den Nasenflügeln schildert er, wie diese mit einem fiesen Nieser am Frühstücktisch beginnt. An jenem grauen Oktobermorgen begibt er sich zu seinem Hausarzt und holt sich in einem überfüllten Wartezimmer den Rest. Seine Krankschreibung, seine Heilmittel und jene von Millionen anderer Beitragszahler spülen nun die Kassen der Versicherer leer. Binnen Tagen. Kein Tsunami - ein Abnahmi.

 

Seine Wangen beben, als er vom Verlauf der Krankheit erzählt. Die tanzenden Muster auf der Tapete, die langsam näher kommen und sich wieder entfernen, als er mit Schüttelfrost im Bett liegt. Fieberwahn bei 37,6 Grad Celsius Körpertemperatur. Mit fallenden Mundwinkeln beschreibt er den bitteren Nachgeschmack des Kamillentees, zeigt mit den immer noch schlecht durchbluteten, leichenblassen Fingern auf sechsundzwanzig Stellen seines einst gestählten, nun geschwächten Körpers, die im stetigen Wechsel tagelang Schmerzsignale an die zuständigen Synapsen senden. André erzählt, wie eine Heilpraktikerin mit einem sehr scharfen Messer und einer wehenden Reichskriegsflagge vor seinem Krankenbett steht und ihn zur Ader lassen möchte. Auf den Treppen des Greifswalder Rathauses. Oder hat er das nur geträumt?

 

Nach siebzehn Tagen stellt sich langsam Besserung ein. Er kann wieder in ganzen Sätzen reden, Worte wie „Bitte“ oder „Danke“ rutschen ohne das lästige Stöhnen über seine Lippen. Weitere vier Tage später ist das Virus endgültig besiegt. Er kann wieder aufstehen. Dann, am Samstag, macht er sich sehr früh auf den Weg in die Stadt, um bei seiner Lieblingsdrogerie Toilettenpapier und andere Hausmittelchen zu kaufen. Trotz eines latenten Kratzens im Hals. Aber André öffnet zuvor den Briefkasten.

 

Dort findet er einen Appell seiner Krankenkasse. Die ruft um Hilfe, benötigt jede Hand. Sofort. Knepulski stellt sich umgehend auf sein Longboard und rollt leicht bergab zum Verwaltungsgebäude seines Versicherers. Dreimal rauscht er an dem Haus vorbei, erst dann realisiert er, welch kläglicher Rest von der einst blühenden Jugendstilvilla aus der Gründerzeit übrig geblieben ist. Auch die Begrüßung ist keine, die André als euphorisch bezeichnen würde: "Das ist hier nicht die Deutsche Bank. Und auch nicht der Empfangsterminal der Lufthansa."

 

Arbeitsmittel stellt die Krankenkasse zur Verfügung. André wird zu Kellerarbeiten eingeteilt. Hier finden wir ihn. "Deep State", sagt er und feixt. Angestrengt versucht er, nicht nach oben auszuatmen. Befürchtet, durch Verwirbelungen könnten ausgestoßene Restviren und überhaupt schlechte Luft direkt wieder in die Atmungstrakte gelangen. Er hat sich informiert. Auf YouTube und Facebook. Und bei Facebook und YouTube. Ansonsten ist er optimistisch. In einer Stunde, so meint er, übergibt er besenrein. Dann will er in den ersten Stock. Fenster putzen. Hat er einen Wunsch? „Ein Sternburg wäre nett. Und noch achtmal Achter-Toilettenpapier. Wie müssen ja für sechs Monate vorsorgen, hat mein Koch gesagt." Wir schicken einen unserer Fahrer los. André schmeißt den Sauger an. Der läuft auch. Ein Glücksspiel, wenn man weiß, dass die Stadtwerke wegen der ausstehenden Rechnungen immer mal den Strom abstellen.

Der Fahrer kommt. André steht breitbeinig hinter seinem Sauggerät. Das Bodenschnüffelstück ächzt plasten und ist wohl verstopft. Der Fahrer packt viermal Toilettenpapier an die Treppe ins obere Geschoss. "Oh nööö", ruft André. "Könnt ihr das nicht zu mir nach Hause bringen? Bin doch mit dem Longboard hier." 

 

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