Greifswald (SPA): Rahmen An: Im Anschluss an die 9:00 Uhr-Nachrichten auf Radio MV: "Hier noch ein Hinweis der Polizei Greifswald. Der gestern im Rügener Weg ausgebrochene Wohnungsbrand hat sich über weitere Aufgänge ausgebreitet. Bleiben Sie ruhig, in ihren Wohnungen oder umfahren Sie den Bereich großräumig. Es wird an einer Lösung des Problems gearbeitet."
Rückblick: Knappe 25 Stunden zuvor
Bei der Feuerwehr Greifswald geht um 8:17 Uhr MEZ der Notruf über einen Wohnungsbrand im Rügener Weg ein. Oberbrandmeister Stefan P. setzt die Meldekette umgehend über WhatsApp in
Gang. Telefonisch beantragt er beim Landesbrandhauptmeister Ole S. in Schwerin die Bildung einer Task Force "Rügener Weg". Da sich Ole S. beim Eisangeln am Schweriner Außensee befindet,
begibt sich der Fahrradkurier Andreas F. auf den von Schnee ungeräumten Fahrradrundweg um das Gewässer, um mit der eiligst getippten Genehmigung "Task Force Rügener Weg", Stempel und
Stempelkissen die unbedingt notwendige Unterschrift des Landesbrandhauptmeisters an dessen Angelstelle in Lübstorf einzuholen.
8:32 Uhr
Die Ankunft der Feuerwehranwärterin Cornelia A. komplettiert in Greifswald die zukünftige Task Force "Rügener Weg". Mit einem Blick aus einem nach Osten gerichteten
Fenster vergewissert sich die Mannschaft über eine Rauchentwicklung, die einen Brand im Rügener Weg vermuten und damit die Echtheit des Notrufes bestätigen lässt. In zuversichtlicher Erwartung
der erforderlichen Unterschrift des Landesbrandhauptmeisters beginnt Stefan P. eigeninitiativ mit der Präsentation verschiedener Szenarien für einen bevorstehenden Einsatz.
8:57 Uhr
An der Brandstelle haben sich Schaulustige und Interessenten eingefunden. Dem Bürger Karl-Heinz P. gelingt es, über einen benachbarten Kellereingang auf den Hinterhof des
Brandherdes zu gelangen. Von dort gelingen ihm Filmaufnahmen, die eine sehr spärliche, nur mit Rauchbrille wahrnehmbare Rauchentwicklung suggerieren.
9:14 Uhr
Exponentiell zunehmend gehen bei der Feuerwehr Greifswald per Telefon Fragen besorgter Bürger ein. Oberbrandmeister Stefan P. folgt einem Bauchgefühl und entschließt sich, die
Task Force in Ask Force "Rügener Weg" umzubenennen. Der entsprechend nach Schwerin durchgestellte Antrag wird umgehend an den Fahrradkurier, der sich 2,2 Kilometer vor Lübstorf befindet,
durchgestellt. Dieser streicht aus der eiligst getippten Genehmigung handschriftlich das T. Derweil unterbricht Stefan P. die Vorstellung der Szenarien und richtet mit einem Teil der Ask Force
eine Telefon-Hotline ein. Die anderen Kräfte werden an den ostwärts gerichteten Fenstern zur Fernüberwachung eventueller Rauchentwicklungsentwicklungen konzentriert.
9:35 Uhr
An seinem Homecomputer registriert der Bürger Karl-Heinz P. den 10000. Klick unter seinem Video "Mieter Hinrichs raucht F6 am Fenster", das er auf sämtlichen sozialen
Kanälen mit dem Hinweis "Bitte Rauchbrille aufsetzen" veröffentlicht hat. Parallel moderiert er die Kommentarleisten und löscht bis zur totalen Erschöpfung Hasskommentare gegen Mieter
Hinrichs.
10:01 Uhr
Mit Puls 99 erreicht Fahrradkurier Andreas F. die Angelstelle in Lübstorf, winkt den angelnden Landesbrandhauptmeister Ole S. ans Ufer, lässt von diesem die Ask-Force stempeln,
unterschreiben und erzeugt per Handy ein jpeg des Dokuments. Das er nach Schwerin sendet. Mit dessen Empfang fühlt sich Oberbrandmeister Stefan P. in Greifswald in seiner Strategie bestätigt und
peitscht mit einer motivierenden Rede Telefon-Hotliner und Rauchentwicklungsbeobachter zu den so oft trainierten Höchstleistungen.
10:44 Uhr
Ministerpräsidentin Manuela S. tritt vor die Mikrofone einer eiligst einberufenen Pressekonferenz und informiert über die Ergebnisse der eiligst einberufen gewesenen Konferenz der
Länder. Die Menschen im Greifswalder Rügener Weg werden aufgefordert, Fenster und Türen verschlossen zu lassen sowie hin und wieder zu lüften.
11:27 Uhr
Oberbrandmeister Stefan P. empfängt im Konferenzraum eine Gesandte des Traumapsychologischen Dachverbandes Greifswald, die ihn über den Anstieg der von eingesetzten Folgeton- und
Einsatzhörnern verursachten Folgeschäden informiert. Nach einer langen Diskussion erzielen die Verhandlungspartner darüber Einigung, dass Stefan P. eine Demontage der Signalanlagen an den
Einsatzfahrzeugen umgehend öffentlich ausschreibt. Hinsichtlich einer Umlackierung der Fahrzeuge, weg von einem traumapsychologisch vorbelasteten Rot, kann der Oberbrandmeister mit Hilfe einiger
harter Worte einen Aufschub der Maßnahme erreichen. Trotzdem zieht er den mathematisch Begabtesten von den Rauchentwicklungsbeobachtern ab, schickt diesen mit einer Farbpalette in einen separaten
Raum und beauftragt ihn mit einer internen Kosten-Nutzen-Dauer-Analyse sowie der Erstellung eines Intervall-Planes zur Umlackierung der Einsatzfahrzeuge unter Beachtung uneingeschränkter
Einsatzfähigkeit im Brandfall.
12:38 Uhr
Ein investigativer Journalist evaluiert bei einer Befragung von Anwohnern im Rügener Weg sowie der benachbarten Roald-Amundsen-Straße, dass diese im Sommer eine Einweisung in die
Nutzung von Feuerleitern und Feuerlöschern erhalten haben. Allerdings wurden in den Häusern statt Feuerleitern nur Feuerstricke installiert. Die Unterbringung der Feuerlöscher erfolgte in
abgeschlossenen Kellerräumen, zu denen nur der Hausmeister Zutritt hat.
12:52 Uhr
Der investigative Journalist verkauft die Story meistbietend an die Investigativ-Sparte der BILD.
13:19 Uhr
Online titelt die BILD: "Feuerinferno in Greifswald. Die kleine Anne (4) kommt nicht an den Feuerlöscher". Auch BILD-Kolumnist Franz-Josef Wagner schreibt einen Brief:
Anne wurde geschult. Da gibt es Feuerlöscher. Nichts ist mehr echt. Hat schon jemand über ein gelöschtes Feuer geschrieben? Wie es in Wasser ertrinkt. Das duftet. Das qualmt. Auch eine
Zigarette am Fenster.
Herzlichst
Franz Josef Wagner
14:55 Uhr
Die Bürgerinitiative "Südliche Mühlenvorstadt", bestehend aus Gabriele J. und Helmut D., demonstriert am Sendemast von Greifswald TV. Sie fordern die
Ausstrahlung einer Live-Talk-Show mit alternativen Fachleuten der professionellen Brandlöschung. Zur Unterstützung ihres Verlangens, endlich mal paar andere Fressen in der Glotze zu sehen, setzen
sie eine Trockenbausäge der Firma "Wolfcraft" am Stumpf des Sendemastes an. Aus Deeskalationsgründen sagt der hinzugeeilte Programmarchitekt von Greifswald TV einer Sendung für 20 Uhr zu
und notiert sich drei diktierte Namen, nachdem die Trockenbausäge durch Gabriele J. an seinem aus den Redaktionslatschen stehenden rechten Fußnagel angesetzt worden ist.
14:58 Uhr
In Lübstorf registriert Landesbrandhauptmeister Ole S. einen ersten Biss. Stellt sich aber schnell als Fake heraus.
16:44 Uhr
Feuerwehr Greifswald. In einem separaten Raum wägen Oberbrandmeister Stefan P. und der mathematisch Begabteste der Rauchentwicklungsbeobachter die neue Farbgebung der
Einsatzfahrzeuge ab. Unter Konsultierung der Empfehlungen auf der Homepage des Traumapsychologischen Dachverbandes e.V. fällt die Entscheidung wegen des minimalen traumapsychologischen Potentials
auf einen weichen grün-minten Farbton mit olivgrünen Randstreifen. Die Idee, die Fahrzeuge mit Klingeln oder Glocken auszustatten, wird nach Diskussion der Push- und Pull-Faktoren verworfen. Die
Gruppe "Rauchentwicklungsbeobachtung" registriert weiterhin konstantes Rauchaufkommen in östlicher Richtung. Allerdings klagen zwei der Kollegen über zunehmende Augenschmerzen.
17:13 Uhr
Oberbrandmeister Stefan P. pflückt zwei Passanten, die 49-jährige Hermine P. und ihren gleichaltrigen Ehemann Hartmut P., vom Fußgängerweg in der Wolgaster Straße. Gefahr in
Verzug ausrufend ersetzt er mit den beiden Bürgern zwei Kollegen in der Rauchentwicklungsbeobachtung, deren Augenschmerzen unerträglich geworden sind. Das von den Passanten mitgeführte
Pappschild mit der Aufschrift "Wir wollen endlich wieder tanzen" schließt Stefan P. zugriffssicher in die Asservatenkammer.
20:02 Uhr
In der Talkrunde "Die erste Konstanz" (Greifswald TV) regt der eiligst exhumierte Kaiserliche Oberlöschhauptmeister a.D. Wilhelm E., seinen Oberlippenbart zwirbelnd, eine
stabile Wassereimerkette vom Ryck hin zum Rügener Weg an. Mit 75 kräftigen Bürgern aus der Innenstadt, die er sofort namentlich benennen könne, sollte das zu schaffen sein. Dazu empfiehlt er das
Engagement zweier feuerfester Gäule aus der Pferdeleihstation Schönwalde, um die sensiblen Glieder der Eimerkette durch Wiehern anfeuern zu lassen. Er selbst würde natürlich an vorderster Front
den Flammen seine Stirn bieten. Bis zum letzten Rycktropfen. Der Einwand des Moderators, dass die mittlerweile kräftige Bebauung des Gebietes mindestens das Doppelte an Menpower erfordern würde,
wird durch den Kaiserlichen Oberlöschhauptmeister mit der Bemerkung "Bedenken second" wirsch zurückgewiesen.
Im Anschluss präsentiert die Heilpraktikerin Susanne Z. anhand einer PowerPoint - Präsentation den nachhaltigen Einsatz von Kerzenlöschern (Edelstahl) beim Löschen offener Feuer. Diese kulminiert
in einer Listenpreis-Kalkulation, die sie auf Grundlage dreier Online-Anbieter für 70000 Einheiten vorgenommen und den Kosten für die Unterhaltung der Feuerwehr Greifswald gegengerechnet hat.
Damit unterstreicht Susanne Z. ihren Anspruch, dass jeder Einwohner der Hansestadt mit einem solchen Feuerendgerät ausgestattet werden muss.
Zum Ende des Talks erläutert der Prominente Christian B., der im Mai 1996 mit dem schlagerähnlichen Chanson "Feuer ist heiß" einen Top 250-Hit landete, welche Bevölkerungsgruppen und
Ethnien dafür bekannt sind, am Fenster ihrer Wohnung zu rauchen. Er selbst sei natürlich Nichtraucher.
22:13 Uhr
Durch den regen Zuspruch auf eine durch die Bürgerinitiative "Südliche Mühlenvorstadt" initiierte Online-Diskussion zur Talkrunde "Die erste Konstanz" bricht in
der Universitätsstadt Greifswald das Internet zusammen.
22:39 Uhr
Oberbrandmeister Stefan P. löst die Gruppe "Rauchentwicklungsbeobachtung" wegen Dunkelheit vorübergehend auf. Die Eheleute P. empfangen gegen Unterschrift ihr Pappschild
aus der Asservatenkammer.
Nächster Morgen, 9:04 Uhr
"Hier noch ein Hinweis der Polizei Greifswald. Der gestern im Rügener Weg ausgebrochene Wohnungsbrand hat sich über weitere Aufgänge ausgebreitet. Bleiben Sie ruhig, in ihren
Wohnungen oder umfahren Sie den Bereich großräumig. Es wird an einer Lösung des Problems gearbeitet."
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Sabiene (Mittwoch, 03 Februar 2021 16:33)
Erinnert an den Wohnungsbrand, den mein Mann mal als Jugendlicher hat erleben müssen. Allerdings war das damals in Oberbayern und Greifswald gab es zu dieser Zeit noch gar nicht. Glaub ich. ;-)
LG
Sabiene von www.sabienes.de
P.S.: Magst du mal die Schrift in den Kommentarformular dunkler machen? Wäre sehr praktisch!
Brycke (Mittwoch, 03 Februar 2021 20:27)
Danke für den Tipp, Sabiene. Mal schauen, ob ich das finde :)