Greifswald (SPA): Als der sorbische Kunstkritiker Juri Acryl im 4. Jahrhundert nach Christus durch die mit Malereien verzierten Granitschluchten des Oberlausitzer Berglandes spazierte, rutschte ihm folgender Satz durch die Lippen: "Jedem Graffito liegt eine, manchmal rätselhafte, Geschichte zugrunde." Der Mann ahnte nicht, dass dieser Satz zum Mantra kommender Kunstbetrachtungen werden sollte. Noch sah er die Option voraus, dass in einer Stadt der Zukunft die Graffiti-Kunst zu einem Thema in der Show "Who will be the Burgermeister?" überhöht wird.
Nun entdeckten Service-Mitarbeiter der Hansestadt Greifswald in einer der von ihnen betreuten Parkanlagen einen Graffito, der mit der herkömmlichen Graffiti-Kunst wenig gemein hat. Eine spontan-spektrale Zuordnung der Malerei gestaltet sich trotz der Vielzahl von Fachleuten äußerst schwierig, so dass mittlerweile der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen und Brycke gebeten hat, sich am Festival der Spekulationen zu beteiligen.
Vorneweg 1: Wir arbeiten strikt nach dem Ausschlussprinzip, dass dem sorbischen Ausschlussprinzippraktiker Juri Türzu entlehnt ist, der anno 1338 seine Schlüssel auf der Kommode liegen ließ, die Tür seiner Lehmhütte von außen zuschlug und sich dabei ausschloss.
Vorneweg 2: Sowohl eine links- als auch eine rechtsextreme Orientierung des Werkes sind auszuschließen. Gegen die linksextreme Ausrichtung sprechen die unterdimensionale Größe des Graffito sowie das verwendete Farbmaterial, dessen Ursprung sich quasi sofort als nicht aus einer Sprühflasche stammend definieren lässt (Update: hinzugezogene Forensiker ermittelten keine Schmauchspuren). Die Evaluation eines rechtsextremen Zusammenhangs verbietet sich primär aufgrund der Tatsache, dass der Graffito auch Stunden nach seinem Aufbringen überhaupt und noch in Gänze zu sehen ist. Hier gäbe es also selten einen zweiten Blick. Auch die Verwendung von NS-Symbolik kann trotz eines persönlichen Fantasieguthabens von 188 nicht herausgelesen werden.
Das völlige Fehlen der Farbe Blau führt zum logischen Ausschluss einer Beteiligung AfD-naher Kleinkünstler. Ebenso abzuschreiben ist eine Aktion der Identitären Bewegung, da diese sich a) nie so wenig öffentlichkeitswirksam und b) zudem nie mit der kryptisch dargestellten Helianthus annuus auf ein Objekt gründen würde, das einen klar exonationalen Stammbaum besitzt. Die Verwendung eines allseits bekannten Symbols der GRÜNEN als Vollgraffito ist ein netter Versuch, Ermittler, Staatsschutz und auch uns auf eine bitterkalte Fährte zu locken. Das, liebe Mitmenschen, ist zu billig und würde jeden Verschwörungstheoretiker arbeits-, visions- und verschwörungslos machen. Dann bliebe nur noch Theorie.
Also: Militante Veganer. Eine reizende Idee. Allerdings waren und sind diese in unserem sonnenblumenbestandenen Bundesland bis dato nur im stockfinsteren und metzgerfreien Underground tätig. In Greifswald noch schwieriger. Da nur sieben Meter über NormalNull. Ein paar Überläufer aus den nordrheinischen Ländereien? Möglich ... wir haben uns damit intensiv beschäftigt. Bis uns der geniale Einfall zu einem Abstrich kam. Resultat: Kein militanter Veganer würde eine Farbe verwenden, die nach Kratz- und Windkontakt staubig ausfällt, um dann am Boden zu verharren, bis sie der nächste Regen biologisch uneinwandfrei in das Grundwasser spült.
Detailansicht: van Goghsches Element mit Tuschegnubbel
Aber die nun eröffnete Ermittlungskette Alte Farbe – Sonnenanbeter – Heliotropismus – Herkunft führt uns auf eine Spur, der es intensiver nachzugehen gilt. Huitzilopochtli (sprich: huitzilopochtli) heißt der Sonnengott, dem die Azteken seit jeher huldigen und dem sie große und kleine Kunststücke opfern. Der entscheidende Hinweis auf eine aztekische Herkunft des Graffito ist in unseren Augen die Verwendung van Goghscher Elemente (Tuschegnubbel, siehe Detailansicht). Zudem soll auch Huitzilopochtli etwas mit den Ohren haben. Behaupten Menschen, die ihn anbeten.
Hintenweg: Für prädestinierte Parteien/Mitglieder der Bürgerschaft inhaliert dieser Tatbestand genügend Potential für eine Kleine Anfrage bei der Greifswalder Kommunalregierung. Als Bonusmaterial (tja, wir verfügen über einen Zeitvertrag) haben wir bereits einen diesbezüglichen Fragenkatalog für den Copy & Paste-Gebrauch erarbeitet.
Kleine Anfrage
1) Wie viele Azteken sind derzeit in Greifswald gemeldet?
1a) Wie viele davon pflegen eine Vorliebe für spontan angebrachte Kleinkunst?
1b) Können Azteken biologisch nicht abbaubare Farbprodukte käuflich erwerben bzw. haben sie Zugriff auf alte Bestände der NVA oder volkseigener Malereibetriebe, die dafür bekannt waren, dass sie vor allem mit den Farben Gelb, Grün, Orange, nie jedoch mit der Farbe Blau arbeiteten.
1c) Ist bekannt, ob Azteken vornehmlich Farben verwenden, die bei Abrieb und/oder bei Windkontakt ausfallen und ins Grundwasser gespült werden könnten?
2) Ist mit dem Nachzug kleinkünstlerisch interessierter oder auch anderer Azteken zu rechnen?
2a) Falls ja: Wann?
2b) Falls nein: Wann nicht?
3) Handelt es sich bei der beschmierten Bank um ein denkmalgeschütztes Sitzelement?
3a) Falls ja: Widerspricht das Anbringen von Graffiti dem Schutzgedanken, dem eine denkmalgeschützte Bank unterliegt?
3b) Wird angebrachte Graffiti an einer denkmalgeschützten Bank selbst und automatisch zu denkmalgeschützter Graffiti an einer denkmalgeschützten Bank?
3c) Oder kann das weg?
4) Wird dem Sonnengott Huitzilopochtli auch im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern gehuldigt?
4a) Wer huldigt?
4b) Wann wird gehuldigt?
4c) Wie wird gehuldigt?
4d) Warum wird gehuldigt?
4e) Können/Dürfen wir auch huldigen?
4f) Was hat Huitzilopochtli mit den Ohren?
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Esther (Donnerstag, 09 Juni 2022 15:51)
Wirklich lustig. Die Anfrage schon kopiert. Danke!