Handschuh, Schaufel, Ellenbogen ...

 

 

 

 

 

 

 

 

Greifswald: ... Papa, geh doch mal zum Urologen. Eigentlich hat der vollversicherte Mann soetwas in der Hauspost. Zur Fünfzig. Liebe BARMER, bin mir sicher, ihr habt mich zur Vorsorge eingeladen. Habe es wohl nicht zu Ende gelesen. Weggelegt. Weggeschoben. Untergemölt. Vergessen. Aber nun kam es aus der Familie. Also bin ich hin. Im August wegen Termin. Und der war diese Woche.

Grundsätzlich ist diese medizinische Sparte bei mir nach dem Hören der Warteschleife der Urologie Stühlinger positiv konnotiert. Aber so ein persönlicher Besuch, so eine Premiere, ist dann doch besonders.

Der Wartesaal ist voll und es müffelt nach Testosteron. Sehr abgestandenem Testosteron. Ich bemerke, dass ich keine Maske dabeihabe und bekomme durch die Schwester am Empfang eine gereicht. Dazu ein Plastikbecherchen mit dem Auftrag, es mit einer Probe zu befüllen. Auf dem Praxisklo gelingt es mir, vier Zentiliter auszuwringen und ich stelle den Behälter an eine lange Reihe gleichartiger Gefäße. Wobei ich noch kurz überlege, ob es eine erfolgsversprechende "Wetten, dass ...?"- Bewerbung wäre, die Urinproben von 15 Mitbürgern an ihrer Farbe erkennen zu können. Aber dann haste am Ende einen dabei, der vor der Sendung exzessiv Rote Bete, Brombeeren und Karotten isst und schon ist die Wette verloren. Dann doch lieber 15 Postautos.

Auf der Wartefläche wartet galores Manspreading und ich zwänge mich auf einen Stuhl zwischen zwei Herren, denen ich fortan, mit Hilfe der Knie subtil expandierend, den Spreadingradius streitig mache. Nebenher legt sich die aufkeimende Furcht vor einen überlangen Wartenachmittag schnell. Denn hier ist Akkord. Von Schwestern und Ärzten ausgerufene Namen flirren zum Aufspringen animierend im Drei-Minuten-Takt durch den Raum. Den meinen vernehme ich schon nach dreißig Minuten.

 

Doktor X erstellt den Anamnesebogen. Mündliche Befragung, digitale Erfassung und Speicherung. Für den Neuzugang in der Urologie. "Wasser lassen?" "Ohne Probleme. Manchmal vor, manchmal nach dem Aufstehen." Kurz überlegen. Dann präzisiere ich. "Also vor dem Aufstehen steh ich auch auf." Er hat ebenso Maske, so dass ich nicht sehe, ob er lächelt. Aber er sagt: "Im Sommer früher, im Winter später." Das bringt mich zum Nachdenken. "Und ich dacht, das sei davon abhängig, wie viel ich am Abend getrunken hatte."

Nach fünf Minuten sind wir mit der Anamnese durch. Doktor X erhebt sich aus dem Urologenthron, streift sich völlig transparent blaue Gummihandschuh über die Hände und ich ahne, dass es jetzt ernst wird. Er setzt sich auf die Kante der Behandlungsliege, meint, ich solle meine Hose öffnen, runterlassen und näher treten. Ich trete näher, als Doktor X seine rechte Hand zu einer akkuraten Schaufel geformt hat. "Alles runter." "Ich bin neu und wollt niemanden erschrecken." Und schon umschließt in Sänfte tastend die Schaufel mein Gemächt.

Sein Aufstehen begleitend, die Gummihandschuh schnipsend sagt Doktor X, ich solle nun einen halben Meter nach vorn schreiten und den linken Ellenbogen auf die Liege legen. Das tue ich. Um im nächsten Moment ... oh, das geht tief. Nach der Ellenbogenstütze sind wir fertig. Ich bekomme, während ich den Stall schließend knöpfe, mündlich einen altersgerechten, unauffälligen Zustand des soeben untersuchten Gegenstandes bescheinigt. Werde auf die gleich anstehende Blutabnahme sowie den Ultraschall vorbereitet. Anruf bei Auffälligkeit. Dann darf ich zurück in den Patientenwarteraum. In die Manspreading-Arena. Hinsetzen war nun schon komisch.

 

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