Die tiefe Spiritualität spontaner Konsumhandlungen

 

 

 



Greifswald (SPA):
Es dürfte vor mindestens vier, könnte aber auch vor sechs Jahren gewesen sein, als ich durch einen Laden in der Greifswalder Innenstadt schlenderte und quasi aus dem Augenwinkel heraus dutzende rote Rentierchen wahrnahm. Die in schier endloser Kongruenz auf zweimalnullkommaacht Metern Geschenkpapier gedruckt waren, das ich nach dem Gedanken "kann ich irgendwann gebrauchen" im Affekt ergriff, an die Kasse verbrachte und mit einem einzigen glatten EURO bar bezahlte.

Das traurige Schicksal dieses damals bedarfsfern gekauften Konsumartikels war es nun, mindestens vier, vielleicht aber auch sechs Jahre im tiefsten Dunkel eines Kleiderschranks zu verbringen, in dem ich ihn damals hinter zwei dicken Stapeln T-Shirts verscharrte. Nun ist es nicht so, dass ich keine Geschenke verteile - aber kurz nach Vergrabung dieser rentierbesetzten Präsenttapete fand ich für solcherlei Papier wohl andere Möglichkeiten der Unterbringung. Solche, die beim Drang der Umwicklung kleiner Aufmerksamkeiten fix ins Blickfeld rollen.

Der Ordininarius homo, der Gewöhnliche Mann, pult bei der Suche nach einem frischen T-Shirt entsprechend seiner soziologisch brusthaarklein erforschten Muster eher in den höheren Lagen eines Stapels, um diesem ein solches zu entnehmen. Circa Lage Eins (oben) bis Vier (bissel weniger oben). Diese Entnahmen sind über Jahre gereifte, eingeübte, zur Routine verkommene, teils niederträchtig belächelte Handlungsstrategien. Doch eines Tages verspürt auch solch ein Mann Lust, sich in den unteren Lagen zu bedienen. Er schert aus seinen Mustern aus. Genau dann, wenn ihm der Gedanke "Das könnt ich auch mal wieder anziehen" in Form eines heißen Synapsenstrahls durch das angekippte Fontanellenfenster strömt.

Bei mir kam dieser archäologische Moment vor zwei Wochen. Also ziehe ich den linken zweier Stapel aus dem Schrank und erstmals seit mindestens vier, vielleicht auch nach sechs Jahren erblickt die rentierbestückte Rolle Tageslicht. Und ich so: "Wow, da ist ja noch Geschenkpapier!"

Doch damit nicht genug. Gestern, am 26. Juni anno 2023 erscheint im Chat der KuK (Kollegen und Kolleginnen) folgende Suchanzeige:

 

 

Das ist der Augenblick, in dem plötzlich alles einen Sinn ergibt. In dem dieser spontane Anfall unnötigen Konsums seine ganze, breite Spiritualität entfaltet: das Erblicken, das Zugreifen, das Verscharren, die Jahre der totalen Dunkelheit, die unbändige Lust an einem lange nicht getragenen Shirt, die Ausgrabung, die Verbringung ins Licht.

 

Alles.

Ich reposte:

Spontan. Informativ. Detailliert. Problemlösungsorientiert.

Zwischenzeilig mit all jener euphorischen Glückseligkeit, die diesem Stück Konsumgut nach Jahren der unerbärmlichen Verdammnis und angesichts des sich nun entfalteten Hilfepotentials völlig angemessen ist. Dass dieser Kontext nicht allen KuK ad hoc gewahr wird, ist bösartigen Zwischenrufen wie diesem zu entnehmen:

Aber das dürfte ja nun geklärt sein. Oder?

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Kommentare: 1
  • #1

    Dream T (Mittwoch, 28 Juni 2023 19:34)

    Super. Dacht schon, hier kommt nichts mehr.