Mutter mei die Fische

 

 

 

 

Greifswald (SPA): Am Markt beim Italiener bin ich mit ihm verabredet. Permanentbesorgter Bürgerbegehrer und seitdem begehrter Bürger, Demokratieversteher, NordQuer- und nicht Mainstreamer, links-grün-unversiffter MWut- statt Gutmensch, dieselbetriebener Think Tank der globalen Weltverschwörung, selbstbestimmt antiGender, unwoke und dennoch aufgewacht, omnikompetent ... Punkte aus seinem Portfolio. Wir wollen uns unterhalten - über grüne Ideologie in der Hansestadt.

Er hat mir Sticker und Buttons mitgebracht. Die liegen auf dem Tisch, als der Kellner vorbeikommt und die Bestellung aufnimmt. Entscheide mich aufgrund einer externen Empfehlung für ein Coquito-Sorbet. Er ordert einen Schwedeneismecher bit Eierlikör und Apfelbus. Isst er ibber, meint er ... und mir fällt etwas auf. Dieses Auffallen verdichtet sich, als ich mir seine Mitbringsel ansehe. In dick und rot umrandeten Radien sehe ich dort die Konterfeis einiger Politiker sowie knackige Aussagen in schwarzen Lettern: Fassminder buss weg, Hameck buss weg, Maermock buss weg oder Scholz - nicht bein Kanzler. Jeweils mit Ausrufezeichen. Diese Sticker studiere ich, derweil er mir einen in große Enttäuschung getunkten Vortrag hält. Dass man ihm, dem engagierten Kämpfer für eine vom Souverän getragene Demokratie, mangelndes Demokratieverständnis unterstellt. Und dann sagt er: "Kannst das mehalten. Ich min doch der, der Mutter mei die Fische bacht."

Bin kein Arzt (aber wer muss das in schweren Zeiten wie diesen schon sein) und dennoch bereit, nun eine ausgeprägte MB-Permeabilität zu diagnostizieren. Nicht sooo selten - dieses Vertauschen zweier Buchstaben. Nur ein Symptom. Bei Menschen, die sich in widersprüchlichen Argumentationen verlieren. Demokratieverständnis einklagen und mit dem nächsten Luftzug gewählte Abgeordnete weghaben wollen. Gender auf Sprache reduzieren und diese wegen Verbotskultur ablehnen, da sie in ihrer totalen Selbstverantwortung den Fetisch entwickelt haben, im selbstbestimmten Wording das Sternchen nicht weglassen zu dürfen. Menschen, die eine evidenzbasierte Klimakrise oder Hinweise auf Sexismus, Queerfeindlichkeit, Rassismus als "Woke" labeln, dieses, die wirre Argumentation stützend, mit Sojamilch und Tofu drapieren und für die Wahlurne eine hetzende, lösungsferne, stabil gegen ihre Interessen abstimmende, die Klimazerstörung leugnende Partei empfehlen. Wegen der berechtigten Sorgen. Die gefälligst ernst genommen werden wollensollenmüssen. Und die ich zu teilen habe. Sagt er.
 

Meinen auf Windows XP hochgetunten Atari habe ich in weiser Voraussicht zu Hause gelassen. Das erspart mir eine Peinlichkeit. Denn mein Gesprächspartner holt ein nigelnagelneues Apple IPad Pro aus der Handtasche. Von niedlichen chinesischen Kinderhänden zusammengeschraubtes Wunderzeug der digitalen Technik. Er wolle mir Videos zeigen und zeigt. Viel ARD und ZDF, so dass sich die Zwangsgebühren, von denen er stetig redet, schon rentieren: Weidel bei Maischberger. Chrupalla bei der Malerinnung in Limbach-Oberfrohna und beim Sommerinterview. Aiwanger bei Lanz. Curio im Bundestag. Trixi Storch beim Konditorduell mit Gunnar Lindemann. Daniele Ganser in St. Moritz. Paul Brandenburg (you know: der Arzt aus dem Corona-Widerstand mit den Testzentren in Berlin) nach einer ihm gewidmeten Laudatio. Wagenknecht und Schwarzer mit der niederländischen Flagge vor der russischen Botschaft (ein Fake! oder vergriffen). Gauland beim Schnorcheln im Toten Meer sowie auf einem Zwanzigmeterturm an der Lagune eines preußischen Badesees. Ich gebe mir jeweils zwölf Sekunden, bis ich mit den Worten "Kenn ich" seinen Skip zum nächsten Think Tank animiere. Nur Gauland unter Wasser schau ich mir ein wenig länger an. Das beruhigt. 

Bei einem Blick auf die Uhr fällt mir auf, dass wir uns zum eigentlichen Thema noch gar nicht unterhalten haben. Darauf angesprochen kriegt er Puls. "Ham ich doch gerade alles gezeigt. Nicht zugehört? Ibber behr Ausländer rein, Sicherer Hafen, die ganze Genderkacke, Baskenpflicht, linksgrüner Bist wie Straze und Ikuwo und wenn ich von der Wiesenstraße hin zu NETTO fahre, bachen die radfahrenden Studenten, was sie wollen und ich krieg nicht bal einen Parkplatz, wenn ich zurückkomme. Fassminder buss weg, der bacht die ganze Wirtschaft kaputt. Zur nächsten Wahl jagen wir den aus der Stadt. Zusabben bit seinen ganzen zugezogenen Ideologen." Am Italiener läuft Achmed vorbei und grüßt herüber. "Kennst du den Ali?", fragt er. "Ja. Nicht Ali. Achmed. Fünftklässler. Deutsch und Mathe Zwei. Seit sieben Jahren in einer Gemeinschaftsunterkunft. Vater arbeitet an der Berufsschule." "Alles Besserstecher", murmelt er. Laut genug für mich, noch zu leise für die Nachbartische. Und packt sein Apple IPad Pro ein.

Aus sicherer Quelle weiß ich, dass erst vor knapp zwei Wochen ein Coquito-Sorbet kleinteilig in der Open-Air-Arena des Italieners halbhoch unterwegs war. Trotz der einsetzenden Traurigkeit bin ich nun froh, das meine längst verspeist zu haben. Ich bezahle, er mezahlt. Und hat das letzte Wort: "Zur Mürgerschaftswahl ib nächsten Jahr knallen wir die links-grünen Faschisten weg. Dann bachen WIR Mutter mei die Fische."

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Uta (Mittwoch, 12 Juli 2023 18:54)

    Das liest sich heftig. Aber da braucht es auch. Kopf hoch nach Greifswald aus HST