Die Lehrermangel - Teil 5: Frau Ministerin geht aufs Klo

 

 

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Greifswald (SPA): Anfang Mai ist die Sache I.S. völlig zum Erliegen, besser wohl: Abliegen, gekommen. Die regelmäßigen Telefonate mit Schwerin sind frustrierend und er stellt fest, dass seine Lunte schon ein wenig runtergebrannt ist. Die schwindende Gelassenheit versucht er mit Ignorieren zu kompensieren - diese Übung liegt ihm nicht unbedingt, schlafarme Nächte bleiben, aber sie induziert im beruflichen Alltag manch überraschende Reaktion. In der Sache aber wird er wohl alles auf die Karte Lehrersprechstunde der Ministerin setzen müssen. Dann meldet sich aus dem Nichts Frau P. vom IQ MV. Per Mail.   

Angesichts der Tatsache, dass dem Schulamt seit August 2022 eine detaillierte Auflistung der einzelnen Berufsgruppen und der dabei durch den Lehrer I.S. vermittelten mathematischen Fachinhalte vorliegt (z.B.: Mediengestalter Druck/Print - u.a. Kosten-Nutzen-Kalkulation (Aufstellen linearischer Funktionen, Schnittpunktberechnung)), sollte auch beim Schweriner Ministerium jeder wissen, dass es sich bei dieser Einrichtung um keine schulische handelt. Der Ruhepuls der Sache I.S. implodiert und setzt die gewohnten Handlungsstrategien in Kraft. Eine rauchen auf dem Balkon. Fingernägel schneiden (Bedingung: unfallfrei). Die Talking Heads aus dem CD-Regal pulen, Burning down the house bei hochgedrehten Reglern. Warten, bis und ob die Nachbarin klingelt. Dann nochmals hören bei Zimmerlautstärke. Danach einloggen ins Mailprogramm und eine solche verfassen ...

 

Ja, das liest sich auch für uns hart. Die Sache I.S. lässt sich bestätigen - 24 bis 28 Stunden Sek1, 4 bis 8 Stunden Sek2, jeweils wöchentlich für den Zeitraum 9/2004 bis 10/2022. Schickt am 9. Mai den Schein zurück. Sollte genügen. Denkste.

Noch vor der Ministerinaudienz möchte ein neuer Darsteller im Absurdium dieses Stückes I.S. sprechen und ruft in der Schule an. Am Vormittag. Kann man machen, bedeutet jedoch Rückruf am Nachmittag. Herr S. vom IQ MV schildert die Niedergeschlagenheit von Frau P. aufgrund der letzten Mail und würde gern ab sofort die telefonische Interaktion übernehmen. Im 30minütigen Gespräch werden längst bekannte Dinge erneut abgefragt, mit Gesetzen abgeglichen (warum jetzt erst?), wird sich ausgetauscht, über Kompetenzen, auch die In-, über Realitäten und Rahmenbedingungen. Von Mann, der aus der Praxis kommt und Rahmenbedingungen schafft, zu Mann, der in der Praxis ist und Rahmenbedingungen erlebt. Herr S. ist an einer schnellen Lösung interessiert, vermag für diese aber keine Frist zu benennen. Zu viele Beteiligte, Sie wissen. Zum Abschluss fragt er noch, ob I.S. ihm denn einen Schein unterschreiben würde, dass die fachliche Arbeit in der Berufsbildung ähnlich jener sei, die er zur Zeit an der Regionalschule ausübe. Die Sache I.S. hält das für einen Joke, im Timing nicht optimal, aber doch, ja, lustig. Er fragt zurück: "Wie viele Unterschriften benötigen Sie? 50? 147?" Nicht einmal ein Schmunzeln am anderen Ende. 

Einen Tag vor dem 17.05. schwirrt die ministerielle Meldung durch die Presse, Lehrer sollten aus den Ministerium wieder an die Schulen. Unterrichten. Im Kontakt. Mit Menschen. Es mag sein, dass I.S. dort etwas hineininterpretiert, aber die Behörden scheinen nicht von einem Personalmangel befallen zu sein.

Nun die Audienz. Mit Erreichen des allerletzten Winkels im verwinkelten Schulamt gewahrt I.S., dass es zu Verzögerungen gekommen sein müsse. Zwei Kollegen von anderen Schulen warten auf Einlass in den Saal und es dauert nicht lange, dass sich zwei Vertreter des Kreiselternrates hinzugesellen, denen einen Termin um 17 Uhr bei Ministerin O. reserviert ist. Zeit, ein bisschen small zu talken. Nach etwa 40 Minuten wird er hineingebeten.

Wir alle kennen das aus Filmen und aus dem Geschichtsunterricht. Die Kaiser, Könige, Bischöfe, Herrscher dieser vergangenen Welt, die auf Thröne bis zu achtfünfzig Höhe kraxeln, um ihren knieenden Untertanen auch ein optisches Synonym für deren Stellung in der Gesellschaft zu offerieren. Heute wird das subtiler gemacht. Eher zweidimensional. Als I.S. den Saal als Lehrer betritt, sieht er zu einem Karree gestellte acht Tische und 16 Stühle, an dessen Front vier und ums Eck ein fünfter besetzt sind. Er darf vorbei, defilieren und gegenüber Platz nehmen. Es folgt eine huschelige Vorstellung durch die Ministerin, sie selbst, Staatssekretär Sch., eine Frau, deren Namen er nicht versteht und die er vorerst wegen ihres Mienenspiels auf den Namen Emotional taufen wird, die persönliche Sekretärin und um die Ecke die neue Schulrätin. Lehrer I.S. äußert sein Begehr. Ein Brief? Nein, niemals nie erhalten. Nie gelesen. Sagt Frau O. Auf dem Fensterbrett stolziert ein Vogel vorbei. Es muss eine Nachtigall sein, denn er trapst. Na gut, dann von vorn. Die Sache I.S. monologt, die ganze Geschichte von vorne an, kürzt wegen der avisierten 15 Minuten. Wäre er im Lehrermodus, müsste er bei Frau Ministerin zweimal Aufmerksamkeit anmahnen. Als Sache schickt sich das nicht. Zudem bemerkt er, dass sie etwas Menschliches bedrückt. Sieht er jeden Tag und Istvan-Ole aus der 5f würde längst gefragt haben, ob er mal den Klassenraum für eine kleine Entsorgung verlassen dürfe. Auch beim Royal Philharmonic Orchestra war das kein Problem. Frau Ministerin drückt zur Eile und hält bis Minute 7 durch. Sie sendet zwei Entschuldigungen (für was?) an das andere Ende des Karree, kündigt für Montag einen Anruf an, klopft ihrem Staatssekretär, dessen Mimik während des Vortages eingefroren schien, kurz auf die Schulter, der nun das Vorhaben stoisch und kaum wahrnehmbar abnickt. Und Tschüs, sie müsse jetzt mal für kleine Ministerinnen. Als Sache verlässt I.S. den Saal.

Am Montag hat er vorerst wieder Post aus Schwerin. Von Herrn S.

I.S. geht auf den Balkon, holt die Filigranschere aus dem Bad, hört die Talking Heads, die Nachbarin klopft an die Wand, er hört nochmal die Talking Heads und beschließt, nicht sofort zu antworten. Anruf von Frau Ministerin? Wir schreiben EINEN Montag.

So versichert er sich am nächsten Tag, nach Besorgungsfahrt zwecks neu angeforderter Unterschrift, bei der Schulrätin rück, ob sie das mit "Montag" auch gehört und wie sie das verstanden habe. "Ach, hat sie nicht? Ich werde sie demnächst erinnern." I.S. versucht es in Schwerin, kommt über eine Weiterleitungsorgie bis ins Vorzimmer des Staatssekretärs und lässt dort einen Zettel hinterlegen. Rückruf! Bitte! An dieser Stelle können wir erwähnen, dass bis zum vorgestrigen Montag (das F darin steht für Freude), das sind deren neun, kein Anruf durch die Ministerin oder den Staatssekretär erfolgt ist.

Dann antwortet er per Mail Herrn S. Darf auch etwas von haben, wenn die Synapsen lumineszieren:

Die 500-Freiminuten-Frage unseres Telefonanbieters lautet heute: Welcher Schublade lassen sich diese prähistorischen Tafelbilder aus der Berufsausbildung zuordnen?  A) Sek1  B) Sek2  C) keiner von beiden  D) beiden.  Als Telefonjoker (0,89ct/min) begrüßen wir heute Herrn S. vom IQ MV in Schwerin.

 

Dem folgen weitere Telefonate, die in ihrem Gesprächsverlauf arge Ausschläge zwischen gewinnbringend und destruktiv aufweisen. Mitte Juni kommt die nächste Mail von Herrn S.:

Erneute Telefonate. Das IQ MV bot während seiner Beschäftigungszeit eine einzige relevante Weiterbildung an. Am 18. Januar anderthalb Stunden zur Erfassung von Textaufgaben. Die Schule schaltet sich ein und bestätigt die Teilnahme an schulinternen Weiterbildungen, Fachkonferenzen, Fachschaften. Wie üblich. Die Sache I.S. fragt, ob sich denn mit seinen eingereichten Zertifikaten beschäftigt wurde. War ja nicht wenig. Herr S. bejaht. "Was steht denn drin?" "Stellen Sie mir jetzt eine rhetorische Frage?" "Sie sprechen mit einem Lehrer. Da gehört es dazu, den Wissensstand des Gegenübers durch rhetorische Fragen zu evaluieren." Silence. Auch die Bitte, bei der Direktorin der Schule eine Entbindung des Lehrers I.S. vom Mathematikunterricht wegen nicht nachgewiesener und bestätigter Eignung zu erwirken, widerstrebt Herrn S. Die Verantwortung für den Einsatz der Lehrkräfte obliege allein der Schulleitung. Damit hat er nichts zu tun. Er stellt also Volvo-Fahruntauglichkeitsbescheinigungen für Menschen mit 25 Jahren Erfahrung beim unfallfreien Führen eines Saab aus und hat nichts dagegen, wenn die jute Frau vom Schreibtisch gegenüber das erlaubt, weil seine Omi zum Landarzt gebracht werden muss. Ein interessanter Ansatz.

Zeitgleich meldet sich Frau H., jene, die I.S. auf den Namen Emotional getauft hatte. In die Entscheidungsprozesse nicht involviert, versucht sie sich an einer Vermittlung. Hört sich gut an, bringt am Ende nichts. Erst erreicht die Schule die Nachricht, die Lehrbefähigung werde nach Prüfung des IQ MV ohne weitere Auflagen, aber mit der Maßgabe der Teilnahme an Weiterbildungen erteilt. Am Mittwoch vor den Ferien ist auch dies Historie. Die juristische Abteilung hat diese grandiose Idee wieder kassiert. Frau H. zeigt sich am Telefon zutiefst überrascht, bestätigt aber am Donnerstag. "Der schriftliche Bescheid wird Sie in den Ferien erreichen. Dann können Sie in Widerspruch gehen." Sie besitzt Empathie genug, sich Wünsche für einen erholsamen Urlaub zu verkneifen.

Die Talking Heads bleiben diesmal im Regal. Stattdessen nutzt I.S. die Software Chat GPT: "Schreibe mir ein Manifest zur Beräumung des IQ MV und zur Abholung des dortigen Mobiliars durch die Resteverwertung Manni Sturzbach aus Castrop-Rauxel." Wir wollen die hiesigen Leser mit dem vollständigen Text der intelligenten Lösung verschonen. Aber der letzte Absatz gibt schon was her: "Mit diesem Manifest zur Beräumung des IQ MV und zur Abholung des dortigen Mobiliars durch Manni Sturzbach aus Castrop-Rauxel verpflichten wir uns, den Prozess effizient, nachhaltig und verantwortungsbewusst durchzuführen. Durch die gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten werden wir den Raum des IQ MV wieder frei und bereit für neue Möglichkeiten machen."

 

- ENDE -

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Eve (Mittwoch, 19 Juli 2023 22:24)

    Was ist das für eine irre Geschichte? Fassungslos. Soll er nach Schleswig-Holstein kommen.

  • #2

    Stefan (Donnerstag, 20 Juli 2023 23:47)

    da braucht man sich nicht zu wundern, wenn immer mehr Menschen (nicht Sachen) die BRD verlassen.
    Dieser Overhead im Beamtenapperat ist so behäbig geworden, dass er vermutlich vorher implodieren wird, bevor der in die Mangel genommene Lehrer positiv beschieden wird.

    Vielen Dank für den Artikel und herzliche Grüße von der südlichsten Spitze Kontinentaleuropas. PS hier ticken die Uhren noch etwas anders.