Greifswald (SPA): Nach dem Bockspringen und dem Draisinen stellen wir heute die fast vergessene Sportart Brennball vor. Eine, die wie kaum eine andere konservative Mentalität und Machtanspruch auf deutschem Boden geprägt, symbolisiert sowie im wahrsten Sinne des Wortes befeuert hat.
Allein die Tatsache, dass Brennball an einer Tischtennis- und nicht Tischtennis an einer Brennballplatte gespielt werden, gibt einen deutlichen Hinweis darauf, dass dieser Sport jünger als das im
19. Jahrhundert erfundene Tischtennis (damals: Ping-Pong) sein muss.
Grundsätzlich geht es beim Brennball darum, einen brennenden Ball von Seite zu Seite zu schlagen, bis dieser im Erfolgsfall über/auf dem gegnerischen Teil der Platte erlöscht. Die Handhabung von
Schläger und Ball ähneln also dem Tischtennis, allerdings gibt es hinsichtlich der Regeln und Optionen gewaltige Unterschiede. Selbst wenn beim Brennball die Bepunktung ebenso nach recht simplen
Additions-Gesetzen erfolgt, verkompliziert sich diese durch einige mit bloßem Auge kaum wahrnehmbare Über"netz"erlöschungen des Spielgeräts. Ein Umstand, der die Popularität dieser Sportart
massiv drückte, sie für gemütliche Wettkämpfe in trauter Zweisamkeit nahezu verbot und welcher selbst durch die kurzzeitige Einführung eines Videoschiedsrichters (13. bis 14. Mai 1928) keine
Abhilfe erfuhr. Wegen sich häufender Brände war das Netz bereits 1922 durch ein mittiges Knicken der Platte und somit ein massiv-senkrechtes, weniger feuersensibles Element ersetzt worden.
Nachdem der Angabespieler den Ball entzündet hat, muss dieser mindestens zweimal die Platte überqueren, bevor per Schlägerwedeln oder Pusten der Brenn- und Löschprozess beeinflusst werden darf.
1954 zog die International Burning Ball Association (IBBA) einen 15-Yard-Bannkreis für Zuschauer um das Spielareal und lehnte einen Antrag des griechischen Verbandes ab, der die Sportart
für andere Versionen des Pustens als die orale öffnen wollte. Im Gegenzug hob sie die strikten numerischen Begrenzungen für das Wedeln und Pusten auf, womit der Sportart ab sofort alle
Taktiktüren offen standen. Zunehmend allerdings geriet der hohe Rohstoffverbrauch, der durch die IBBA auf ihrer Klausurtagung im Juni 1974 mit durchschnittlich 237 Bällen/Match beziffert wurde,
in die Kritik. Die in diesem Zusammenhang verschärften Diskussionen ließen das Brennballspiel völlig aus dem öffentlichen Fokus verschwinden und die IBBA löste sich im Oktober 2009 nach ihrer
Mitgliederversammlung in Burnley (England) auf.
Auch in Greifswald kann Brennball auf eine lange Tradition verweisen. Anlässlich einer Festwoche zum 400. Geburtstag des Reformators Johannes Bugenhagen weilte auf Einladung des
Bürgermeisters Hugo Helfritz im Juni 1885 der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck in der Hansestadt. Für den Nachmittag des 24. Juni war ein Brennball-Show-Wettkampf
auf dem Greifswalder Marktplatz angesetzt, zu dem ein lokaler Vertreter der Deutschen Zentrumspartei (ein Vorläufer der CDU) den späteren Reichskanzler herausgefordert hatte. Allerdings trat der
Lokalmatador nicht an und ließ den Termin vierzehnmal nach hinten verschieben und platzen. Bismarck wartete 50 Tage und verließ Anfang August die Stadt, ohne in dieser jemals einen Ball
angezündet zu haben. Und beschloss, fortan nie wieder zu lächeln.
Als der CDU-Politiker Reinhard Glöckner im April 1990 die Geschicke der Hansestadt Greifswald übernahm, lud er Vertreter der in der Wahl unterlegenen Parteien zu einer Partie Brennball-Chinesisch
ins Rathaus. Der dabei durch Glöckner angewandten Taktik, seinem politischen Gegner einen brennenden Ball zuzuspielen und sich dann schnurstracks von der Platte zu entfernen, entspringt nicht nur
der tiefschwarze Anspruch auf ewige Regierungsbefähigung, sondern sie symbolisiert gleichzeitig konservative Handlungsmuster, die sich im Laufe der Jahre und bis ins nächste Jahrtausend weiter
verhärten sollten. Nicht nur in der (Greifswalder) Kommunalpolitik.
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