Teil 1 / Teil 2 / Teil 3 / Teil 4
Greifswald (SPA): Anfang Mai ist die Sache I.S. völlig zum Erliegen, besser wohl: Abliegen, gekommen. Die regelmäßigen Telefonate mit Schwerin sind frustrierend und er stellt fest, dass seine Lunte schon ein wenig runtergebrannt ist. Die schwindende Gelassenheit versucht er mit Ignorieren zu kompensieren - diese Übung liegt ihm nicht unbedingt, schlafarme Nächte bleiben, aber sie induziert im beruflichen Alltag manch überraschende Reaktion. In der Sache aber wird er wohl alles auf die Karte Lehrersprechstunde der Ministerin setzen müssen. Dann meldet sich aus dem Nichts Frau P. vom IQ MV. Per Mail.
Greifswald (SPA): Mit einem virtuellen Eimer Honig und Ruhepuls Acht transferiert sich Sache I.S. am Nachmittag des 21. Dezember zum vorweihnachtlichen Clearing in Richtung Arbeitsstube des Schulrates B. In den letzten Winkel des verwinkelten Schulamts, so fast am Ende, mit winterlich-schwerem Schuhwerk über dicke Fußbeläge (VEB Halbmond-Teppiche Oelsnitz?) gleitend, die immer noch hinreichend knarzendes Dielengeräusch in die gehöraffine Atmosphäre wirbeln, dass jeder hier Beschäftigte weiß: "Huch, da kommt ja jemand."
Greifswald (SPA): Nur einen einzigen Tag später erhält Lehrer I.S. ein neues Einstellungsangebot. Seine "Erfahrung" erhält in diesem eine Stufenkorrektur auf "3". Das mit der Kündigungsfrist hat die Koordinatorin Lehrereinstellung allerdings immer noch nicht voll erfasst, denn das Angebot bezieht sich auf einen utopischen Arbeitsbeginn zum 1. Oktober.
Teil 1
Greifswald (SPA): Die Regionalschule, für die sich Lehrer I.S. nun entschieden hat, signalisiert nicht nur bei ihm sondern auch beim Schulamt dringenden
Bedarf für einen Mathelehrer zum 1. September des kommenden Schuljahres. Er verweist auf seine siebenmonatige Kündigungsfrist, die nur durch Genehmigung eines Aufhebungsantrages auf einen Monat
gedrosselt werden kann. Entsprechend ihrer Erfahrungswerte bittet ihn die Direktorin der Schule deshalb, nach circa drei Wochen den Stand der Sachbearbeitung im Schulamt zu hinterfragen.
Greifswald (SPA): Jedes Jahr dieselbe Prozedur. Plätschern sie auf Ewigkeiten überproportional in den Sommermonaten durch den dicht bewachsenen Medienwald, so bekommen die Bürger diese Schlagzeilen mittlerweile auch in kleinen, verdaulichen Häppchen quer durch´s Anno präsentiert. Thema: DER Lehrermangel. Dafür wurde viel Papier in den Rhein, die Neiße, die Warnow oder die Schwarze Elster gelassen. Stromaufwärts ... das macht Sinn. In dem der Prozedur.
Greifswald (SPA): Am Markt beim Italiener bin ich mit ihm verabredet. Permanentbesorgter Bürgerbegehrer und seitdem begehrter Bürger, Demokratieversteher, NordQuer- und nicht Mainstreamer, links-grün-unversiffter MWut- statt Gutmensch, dieselbetriebener Think Tank der globalen Weltverschwörung, selbstbestimmt antiGender, unwoke und dennoch aufgewacht, omnikompetent ... Punkte aus seinem Portfolio. Wir wollen uns unterhalten - über grüne Ideologie in der Hansestadt.
Greifswald (SPA): Es dürfte vor mindestens vier, könnte aber auch vor sechs Jahren gewesen sein, als ich durch einen Laden in der Greifswalder Innenstadt schlenderte und quasi aus
dem Augenwinkel heraus dutzende rote Rentierchen wahrnahm. Die in schier endloser Kongruenz auf zweimalnullkommaacht Metern Geschenkpapier gedruckt waren, das ich nach dem Gedanken "kann ich
irgendwann gebrauchen" im Affekt ergriff, an die Kasse verbrachte und mit einem einzigen glatten EURO bar bezahlte.
Greifswald: ... Papa, geh doch mal zum Urologen. Eigentlich hat der vollversicherte Mann soetwas in der Hauspost. Zur Fünfzig. Liebe BARMER, bin mir sicher, ihr habt mich zur Vorsorge eingeladen. Habe es wohl nicht zu Ende gelesen. Weggelegt. Weggeschoben. Untergemölt. Vergessen. Aber nun kam es aus der Familie. Also bin ich hin. Im August wegen Termin. Und der war diese Woche.
Greifswald (SPA): Am 28. Oktober ist es wie in jedem Jahr soweit. Während überall auf der Welt kleine und große Kinder beginnen, die Schneeschuhe für den Nikolaus zu putzen, wird Helga Radtke, pensionierte Lehrerin aus der Greifswalder Fettenvorstadt, die Musikanlage aus dem Schuppen holen, diese entstauben, sich ein paar weiße Handschuhe anziehen, eine, ihre einzige, 60er ORWO-Kassette in das Kassettenfach schieben und die Play-Taste betätigen. Dann wird sie "Last Christmas" von Wham! hören. Bis weit in den Januar.
Greifswald (SPA): Jetzt wird es ernst. Angesichts des nahenden, wütendsten und allerhärtesten Winters seit März 2022 hat sich die deutsche Exilregierung unter Führung des Schattenkanzlers Ralph T. Niemeyer entschlossen, volles Rohr in die gesicherte Gasversorgung einer von unfähigen Politikern geführten Gesellschaft zu gehen. Alle bislang eingegangenen sowie die noch eingehenden Spendengelder sollen in die Installation von Nord Stream 2 2.0 investiert werden.
Greifswald (SPA): Es war im Mai 2019, als das renommierte Meinungsforschungsinstitut SorbInfoTest das Ergebnis einer ungewöhnlichen Umfrage veröffentlichte. 5887 Frauen
und 4156 Männer des Nordostens wurden um eine Auskunft gebeten, ob sie freudig die Türe öffnen würden, wenn eine in Liebesdingen werbende Person sich allein für einen Kuss ankündige.
Zehntausenddreiundvierzig Menschen des Bundeslandes antworteten mit einem repräsentativen "Ja" und sorgten mit ihrem Bekenntnis dafür, dass die Chefgrafikerin
der Ostseezeitung nur einen fetten Balken auf die Titelseite der Gazette malen brauchte.
Und nun hat sich Kaurismäki verliebt. Ausgerechnet in jene Frau, die im Rahmen dieser Erhebung nicht befragt wurde.
Greifswald (SPA): Auf der steten Suche nach Retro-Erlebnissen wagen sich die Hipster der Groß- und Mittelstädte zunehmend aufs weite Land. Bauern aus der Greifswalder Umgebung berichten von bärtigen, eigenartig gekleideten Männern, die sich in einen 312er Wartburg quetschen und dann mit ihren New-Balance-Turnschuhen in den Ställen auftauchen, um Eier zu sammeln, Schweine zu füttern oder ein paar Euter zwischen die Finger zu bekommen. Die Preise für solche Dienstleistungen schossen in den letzten Monaten auf 80€/Person in die Höhe. Die Landwirte lehnen sich zurück, bis die Arbeit erledigt ist und viele unter ihnen sind begierig darauf, von dieser neuen Einnahmequelle zu profitieren. Das Angebot wird vielfälter und angepasst. Beispielsweise gehört es mittlerweile zum Standard, dass die Ställe mit Musik von Arcade Fire oder Primus beschallt werden.
Greifswald (SPA): Freitagmittag. Feierabend und ich schwinge mich aufs Rad, als das Telefon klingelt. Unbekannte Nummer. "Hallo, Herr Brycke. Fein, dass ich sie
erreiche. Degrassi hier. Die Katharina von der OZ. Wir sind alle mit dem Ticket unterwegs. Hautnah. Investigativ. Unter Menschen. In vollen Zügen. Wir alle ... OZ, GTV, Radio 98eins, NDR,
Apotheken-Rundschau, BILD, Freie Erde, Frösi. Wir haben einen Anruf aus dem DB-Service-Center am Bahnhof Greifswald. Dort ist ein Punk gestrandet. Übernehmen Sie das? Bericht per Mail.
Danke." Und aufgelegt.
Greifswald (SPA): Als der sorbische Kunstkritiker Juri Acryl im 4. Jahrhundert nach Christus durch die mit Malereien verzierten Granitschluchten des Oberlausitzer Berglandes spazierte, rutschte ihm folgender Satz durch die Lippen: "Jedem Graffito liegt eine, manchmal rätselhafte, Geschichte zugrunde." Der Mann ahnte nicht, dass dieser Satz zum Mantra kommender Kunstbetrachtungen werden sollte. Noch sah er die Option voraus, dass in einer Stadt der Zukunft die Graffiti-Kunst zu einem Thema in der Show "Who will be the Burgermeister?" überhöht wird.
Greifswald (SPA): Nach dem Bockspringen und dem Draisinen stellen wir heute die fast vergessene Sportart Brennball vor. Eine, die wie kaum eine andere konservative Mentalität und Machtanspruch auf deutschem Boden geprägt, symbolisiert sowie im wahrsten Sinne des Wortes befeuert hat.